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Gründlich

Wie viele Deutsche verträgt die Schweiz? fragte der «Blick». Sollte es nicht heissen: Erträgt die Schweiz ? Bevor wir jetzt anfangen, über den Unterschied zwischen Vertrag und Ertrag zu philosophieren, sollten wir uns mit den Teutonen rasch möglichst wieder vertragen, denn noch sorgen sie für den Ertrag bei uns. Deshalb bemüht sich ja Graubünden Ferien ganz besonders um die Gäste aus dem Norden. Sie sind immer willkommen, vor allem als pauschale Steuerzahler, weniger als Pauschalreisende. Gerade die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, wie viel wir von den Deutschen lernen können. Dazu gehören Gründlichkeit, Ehrlichkeit, Begeisterungsfähigkeit. Mit deutscher Gründlichkeit wird zurzeit das Thema Kinder abgehandelt, so penetrant, dass der Slogan «Kinder haben Zukunft» im Fernsehen permanent bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit eingeblendet wird. Diese Einblendung im letzten Tatort-Krimi hatte schon groteske Züge. Während ein Vater seinen dreijährigen Sohn mit Brot erstickt und ein minderjähriges Kindermädchen vom Leben in den Tod befördert, kann man dazu lesen: «Kinder haben Zukunft». Zumindest für diese Tatort-Kinder hatte das nur beschränkte Gültigkeit. Mit Sicherheit wäre diese makabre deutsche Übertreibung für Wilhelm Busch, der vor 175 Jahren geboren wurde, bereits ein Grund für einen Reim gewesen. So wie er über die fromme Helene, die im Suff einer Kerze zu nahe kam, sagte: «Hier sieht man ihre Trümmer rauchen, der Rest ist nicht mehr zu gebrauchen». Die nächste Stufe sieht dann vor – und damit wären wir bei der Begeisterungsfähigkeit – den ach so gelungenen wie grammatikalisch falschen Satz «Wir sind Papst» oder «Wir sind Knut» zu reduzieren auf «Wir sind Kinder». Obwohl vor dem Hintergrund der Geburtenrate besser wäre: «Wir machen Kinder». «Wir sind Weltmeister» hat ja auch nur mit der Einschränkung «Weltmeister der Herzen» funktioniert, womit wir bei der Ehrlichkeit sind. Dazu zählt alles, was nicht offensichtlich gelogen ist. Es war schon ehrlich, als Sabine Christiansen kürzlich Kurt Felix zur Diskussion «In Würde altern, in Würde sterben» eingeladen hat. Bekanntlich geht der St. Galler Teleboy nur zu Sendungen, die auch Spass verstehen. Unter der deutschen Begeisterungs-fähigkeit muss der arme Knut leiden, der sich angesichts des Rummels bald einmal nach der Todesspritze sehnt, die ihm bereits von artgerechten Tierschützern angedroht worden ist. Das hätte uns wenigstens jene Kinder erspart, die im Schnappiwahn ein Eisbärenlied trällern und dabei vorwiegend ihre eigenen Erzeuger beglücken. In der ganzen Knut-Hype geht etwas unter, dass Bär nicht einfach Bär ist. Als sich erstmals nach 170 Jahren ein Braunbär namens Bruno in deutsche Gefilde verirrt hatte, wurde er zuerst wie Knut begeistert empfangen und dann genau so begeistert abgeknallt. Das war vor genau einem Jahr. Aber Deutsche vergessen nicht so schnell, sie haben für Problembär Bruno sogar ein Kondolenzbuch aufgelegt. Das alles steht Knut noch bevor, wenn er sich dann endlich artgerecht zu wehren beginnt. Als Problemlöser-Bär fürs Klima eignet er sich spätestens dann nicht mehr, wenn er sich den ersten Pinguin oder ein Bein des Pflegers geschnappt hat. Dann lassen sich nicht einmal mehr die Kindern vom Bahnhof Zoo in Berlin – das sind jene ohne Zukunft – einen Bären aufbinden. In der ARD-Einblendung zu den Tiersendungen steht dann wahrscheinlich «Knut im Blut». Zu Jubilieren gibt es immer etwas: 80 Jahre Benedikt XVI., 175 Jahre Wilhelm Busch, 95 Jahre Titanic-Untergang. Neu kommen dazu «100 Ausgaben Churer Magazin», «30 Jahre Tiger von Haldenstein», «Ein Jahr ausgestopfter Bruno» und «1000 Jahre deutsche Gründlichkeit».

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