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Feier

Der 1. August ist ein Feiertag. Bekanntlich soll man die Mädchen, die Tore und die Feste feiern, wie sie fallen. Aber jetzt vermiest uns ausgerechnet der Historiker Roger Sablonier das Geburtstagsfest der Eidgenossenschaft mit seinem Buch über die Gründungszeit, die ganz ohne Eidgenossen stattgefunden hat. Roger Sablonier, Geschichtsprofessor an der Uni Zürich, hält auch sonst nicht viel von lieb gewonnenen Attributen. Nicht genug, dass er uns die Illusion genommen hat, die «Jenischen» seien ein eigenes Volk, so wie wir das immer meinten. Und dabei hat er, selbst jenischer Abstammung, auch noch Recht damit. Dass die «Jenischen » teils Nachfolger der Helvetier waren, teils von Sinti und Roma abstammen und teils indische Vorfahren haben, damit können wir uns noch abfinden. Ein Schlag in die Weichteile ist es aber, wenn uns der Tell, der Gessler und sogar die ganze Urschweiz weggenommen werden, weil es sie schlichtweg gar nie gab. Und bei Sablonier kommt es noch schlimmer; der Bundesbrief diente eigentlich nur dazu, die Vorrechte des lokalen Adels zu sichern. Nichts von Freiheitsliebe, vom Zusammenschluss freier Bauern, vom Schwur auf dem Rütli, keine Vögte und fremde Richter wurden verjagt, geschaffen wurde eigentlich nur ein Mythos. Dafür aber ein wackerer von später Geburt, entstanden so etwa im 19. Jahrhundert als Muntermacher für die Lancierung eines liberalen Verfassungsstaates. Glaubt überhaupt noch jemand daran, dass Tell gelebt hat und die Gründungsgeschichte der Eidgenossenschaft sich so abspielte, wie wir es gerne hätten? Eigentlich hat schon Joseph Eutych Kopp, der Innerschweizer Historiker, vor 150 Jahren mit der Tell-Geschichte gründlich aufgeräumt. Und wie steht es heute mit der Frage nach Tell? 38 Prozent der Bevölkerung glauben, dass Wilhelm Tell wirklich gelebt hat, 58 Prozent sehen ihn als Sagenfigur. Wenn also selbst eine Mehrheit der Bevölkerung am real existierenden Freiheitshelden zweifelt, was feiern wir denn eigentlich am 1. August? Vermutlich doch ein Stück Freiheit, zumindest in den letzten 15 Jahren. 1993 wurde vom Schweizer Volk mit überwältigendem Mehr beschlossen, einen arbeitsfreien Bundesfeiertag einzuführen. Der Bundesrat hatte sich 1899 nicht so weit hinreissen lassen, er wollte nur, dass die Kantone am 1. August jeweils die Glocken läuten lassen. Jetzt klingeln halt auch noch die Gläser dazu und die Freiheit bedeutet freier Tag. Roger Sablonier, der kluge Historiker, schreibt eigentlich nur, was man schon längst weiss. Max Frisch hat 1970 mit seinem Wilhelm Tell für die Schule mit dem Mythos genau so aufgeräumt wie ein Jahr später Otto Marchi mit seiner «Schweizer Geschichte für Ketzer». Marchi hat den Tsunami in seinen Thailandferien nicht überlebt, weiter lebt dafür der Mythos Tell. Wenn uns unsere lieb gewordene Schweizer Geschichte schon weggenommen wird, könnte man wenigstens für einen Ersatz sorgen. Hier herrscht Nachholbedarf. Dabei gäbe es genug Gedenktage, an die niemand erinnert. Der Bundesbrief, lediglich eine von vielen Akten zur Gründung eines Beistandspaktes, ging einst verloren und vergessen. Erst 1758 wurde er in einem Schwyzer Archiv wiederentdeckt. So könnten wir jetzt den 1. August 2008 feiern unter dem Motto «250 Jahre Entdeckung Bundesbrief» und gleichzeitig in effigie Sablonier, Marchi, Frisch und alle andern Ketzer auf den Scheiterhaufen führen. Vor 700 Jahren wurde ja noch König Albrecht bei Windisch ermordet. Kein Anlass, den Habsburger zu feiern, ist er doch der Erfinder des Begriffes «Steuern». Nur ein Hinweis darauf, dass es schon Gründe gegeben hätte, sich auf dem bedeutungslosen Rütli in der nicht existierenden Urschweiz mit fiktiven Gesellen wie Walter Fürst, Stauffacher und Melchtal zu verschwören.

Stefan Bühler

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