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Ein Jahrring mehr

Das Jahr ist neu, die Durchhalteparolen bleiben die alten. Nullrunde ist angesagt, aber nicht dort, wo wir es uns wünschen. Warum nicht einmal eine Nullrunde beim Älterwerden? Man könnte das Jahr 2011 als Korrekturjahr definieren. Wir hätten dann die Chance, zwei Jahre lang gleich alt zu sein. Das reicht zwar noch nicht, um in die Liga eines Jopi Heesters vorzudringen. Falls es sich dennoch bewährt, lägen durchaus einige Wiederholungen drin. Wer früh genug damit anfängt, muss seine Midlifecrisis nicht vor 70 erwarten. Wenn die Jugend wüsste und das Alter könnte, bräuchte es gar keine Übergangszeit – Sprüche von gestern. Gott hat uns das Wollen gegeben, jetzt soll er auch für das Können sorgen.
Dass der Gedanke nach einem getürkten Kalender nicht so abwegig ist, zeigt die Geschichte. So wurde bekanntlich der julianische Kalender so lange korrigiert, bis Ostern wirklich an Ostern gefeiert werden konnte. Papst Gregor XIII. bestimmte, dass im Jahre 1582 zehn Tage übersprungen werden, und wir hatten den gregorianischen Kalender. Dieser lässt uns leider schneller altern, weil das Jahr kürzer ist.
Einige Gebiete übernahmen den neuen Kalender sofort, also vor über 400 Jahren, andere folgten eher zögerlich. Die katholischen Kantone in der Schweiz wollten nicht warten, die reformierten hatten noch über hundert Jahre Geduld. Sie sprangen vom 31. Dezember 1700 gleich auf den 12. Januar 1701. Auch die Stadt St. Gallen und der reformierte Teil von Glarus behielten den julianischen Kalender bis 1724.
Den Bündnern ging auch das noch zu schnell, der offizielle Übergang zum neuen Kalender wurde erst im Jahre 1812 abgeschlossen. Die erste reformierte Gemeinde war Poschiavo. Dagegen wurde in Klosters der Pfarrer abgewählt, nur weil er sich für den neuen Kalender eingesetzt hatte, und ein Spezialgericht musste 1811 sogar gegen die beiden renitenten Gemeinden Grüsch und Schiers vorgehen. Dann aber hatte der Kalenderföderalismus ausgedient.
Auch heute dauern Anpassungen, wie wir bei der Sommerzeit gesehen haben. Das schrittweise Vorgehen bewährt sich etwa so, wie wenn England in Etappen auf Rechtsverkehr umstellt: zuerst die Velofahrer, ein Jahr später die Personenwagen und zuletzt Busse und Lastwagen. Der Übergang zum neuen Kalender im Mittelalter eröffnete schon damals die Chance, mit dem Alter zu schummeln. Heute leben wir mit Fehlern bei der Altersangabe, das haben schon viele zu spüren bekommen. Die Lolitas rund um Silvio Berlusconi geben sich gerne jünger bis minderjährig. Damit sie bei ihm eine Chance bekommen. Bei Lothar Matthäus war das einst umgekehrt, als er mit der minderjährigen Giulia Kotscherga herummachte. Nach der Devise: 40 kg mit Schulsack, das muss reichen.
Das Alter verleugnen war noch möglich, als es kein Facebook und andere Plattformen für Profilneurotiker gab. Ungewollte Falschangaben wegen der verlorenen zehn Tage gibt es in der Geschichte zuhauf. Die Lücke gilt es zu nutzen, wobei man aufpassen muss, nicht versehentlich älter zu werden, als man in Wirklichkeit aussieht. Der Zeitpunkt zur Reflexion über das eigene Alter ist dann gekommen, wenn eine Frau dir sagt, dass du in deinem Alter nicht mehr älter wirst, nur noch interessanter. Dann bist du wahrlich alt.
Stetig steigt die Alterserwartung, ein Horror für die AHV. Bei einer Scheidungsrate von 60 Prozent hilft es auch nicht weiter, wenn einer zum Kollegen meint: «Meine Frau ist ein Engel.» Und der antwortet: «Gut für die Sozialwerke, meine lebt noch.» Das sind Einzelfälle. Heute muss niemand mehr im Bundesrat darben, bis er 70 ist, oder sich als Jungspund im Alter von 74 Jahren als Ministerpräsident beweisen. Der medizinische Fortschritt in Kombination mit dem gregorianischen Kalender lässt hoffen.

Stefan Bühler

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