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Klassengesellschaft

Es fällt nicht leicht, einen Zusammenhang zwischen Olympischen Spielen und einem Asylantenheim herzustellen. Schnell setzt man sich dem Verdacht aus, man hätte etwas gegen Asylanten. Kein Anlass eignet sich aber besser, um Asylsuchenden berechtigte Hoffnung zu geben. Wo der Olympische Geist weht, ist man zu Gast bei Freunden. Das gilt es zu nutzen, Graubünden soll Milliarden aufwenden, um die ganze Welt willkommen zu heissen. Natürlich nur für ein paar Tage im Jahre 2022, die meisten Gäste reisen dann wieder ab. Einige aber werden bleiben. Sportliche Grossereignisse wurden von Athleten schon immer genutzt, um zu flüchten. Zur Zeit des Kalten Krieges waren es vor allem Sportler aus dem Ostblock, welche im Westen bleiben wollten. Heute sind es Sportler aus afrikanischen Nationen, aus Kuba oder Nordkorea.
Unter diesem Gesichtspunkt wundert es niemanden, dass sich vehementer Widerstand gegen ein geplantes Asylzentrum in der Region Laax/Flims formiert. Kann ja auch nicht sein, dass St.Moritz und Davos mit Steuergeldern Unterkünfte bauen dürfen für die weltbesten Wintersportler sowie die Schweizer Alpinen, während die Surselva die Infrastruktur für die andern bereithalten muss, die gerne auch etwas länger hier verweilen möchten.
Alle können nicht zu den Klassenbesten gehören, also haben wir auch bei unseren Gästen aus der ganzen Welt eine saubere Aufteilung vorzunehmen. Im Gesundheitswesen kennen wir das, längst schon haben wir eine funktionierende Dreiklassenmedizin. Kassenpatienten, Privatpatienten und attraktive Frauen. Während die Kassenpatienten gut informiert sind, weil sie im Wartezimmer sämtliche «Nebelspalter» der letzten fünf Jahre mehrfach gelesen haben, fehlt den beiden anderen Kategorien dieses Wissen. Fast möchte man sich zur Behauptung versteigen, dass sie das Wartezimmer überhaupt nicht kennen, weil sie daran so schnell vorbeigeschleust werden.
Auch die SBB kennt die Dreiklassengesellschaft: jene mit gültigem Ticket, die stehen müssen, jene mit gültigem Ticket, die sitzen können und die besser Verdienenden in der ersten Klasse, vorwiegend Beamte und Gewerkschaftsfunktionäre.
Diese guten Erfahrungen macht sich Reto Gurtner von der Alpenarena zunutze, auch er spricht sich für ein sauberes Dreiklassensystem aus. Asylanten, Skifahrer und Durchreicher. Die Ablehnung mag daher kommen, dass Asylanten in der Weissen Arena das Bild stören, weil die meisten von ihnen schwarz unterwegs sind. Seiner Meinung nach hat es jetzt in der Kategorie Asylanten mehr als genug. Erinnert irgendwie an den Kinofilm «Das dreckige Dutzend». Entspricht etwa der Anzahl Asylbewerber, die zurzeit das Bündner Oberland überfluten. Mit nachhaltigem Schaden für den Tourismus, wie uns nachhaltig versichert wird. Der Aufruf von Reto Gurtner zum allgemeinen Steuerboykott als Mittel gegen das geplante Flüchtlingsheim im Laaxer Hotel Rustico könnte allerdings auch zum Bumerang werden. Bei konsequenter Umsetzung fehlen dann ja die Steuergelder für Olympia. Im Dreiklassensystem gibt es dann die grosse Zahl der Normalos, die brav am Lift anstehen, bis sie an der Reihe sind. Und seit diesem Winter neu im Skigebiet FlimsLaaxFalera das Tagesticket «Blue Line», welches Vorfahrt auf allen Anlagen garantiert. Das erinnert stark an den legendären Spruch von Madame de Meuron: «Im Himmel sind dann alle gleich, auf Erden muss noch Ordnung herrschen.»
Das Dreiklassensystem hat sich in vielen Bereichen schon lange durchgesetzt. Insofern hatte Karl Marx Unrecht mit seiner Analyse über die Zweiklassengesellschaft, die nur Herrschende und Unterdrückte kannte. Dass es auch noch die Herrschenden gibt, die ständig unterdrückt werden, ist eine neue Erscheinung.

Stefan Bühler

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