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Der Gegners Ja

Das obenstehende Porträt lässt eines nicht vermuten: Bei Erscheinen die- ser Kolumne steht dieser Typ an der Schwelle zum Rentenalter. So lange das mit einem zehn Jahre alten Foto dokumentiert bleibt, kann weder der Geburtstag noch das Alter zum Problem werden. Da die Lebenserwartung aber ständig steigt, richtet man sich besser in jungen Jahren auf ein Leben vor dem Tod ein. Gerade in der Schweiz sind Lebenshaltungskosten wie Lebenserwartung so hoch wie nirgends sonst auf der Welt. Männer werden 80,3 Jahre, Frauen 84,7 Jahre alt. Das bedeutet nichts anderes, als dass älter werden immer noch ein bewährtes Rezept für ein langes Leben ist. Das waren noch Zeiten, als die Drohung des Pfarrers «bis dass der Tod euch scheidet » etwa 15 Jahre lebenslänglich bedeutete. Früher waren wir mit weniger auch unzufrieden. Heute darf's ein bisschen mehr sein. Früher hiess das Ferienziel noch Ischias, heute wird man vom Ferienziel heimgesucht.
Das fällt ja meist auf, weil man nie ganz genau weiss, wo die Leidenschaft aufhört und das Asthma beginnt. «Gerne der Zeiten gedenk' ich, da alle Glieder gelenkig - bis auf eins. Doch die Zeiten sind vorüber, steif geworden alle Glieder - bis auf eins.» Angeblich stammt dieses Zitat von Johann Wolfgang Goethe.
Mit der aktuellen Lebenserwartung hat das nichts zu tun. Wie gerade der Papst zeigt, der sich erstmals im zarten Alter von 85 Jahren auf die Rente freuen kann. Zwar kommt sein Entscheid sechs Jahre zu spät. Besser hätte er mit 80 seinen Rücktritt gegeben, dann hätte er sie ganz verpasst. Rein statistisch gesehen.
Das Alter ist die Zeit, wo die Erinnerung an die Stelle der Hoffnung tritt. Sofern die Erinnerung uns nicht auch noch im Stich lässt. Dafür haben wir die Demenz, trotz ihren drei unbestrittenen Vorteilen: Erstens lernt man immer neue Leute kennen. Zweitens kann man die Ostereier selbst verstecken. Und drittens...lernt man immer neue Leute kennen. Oder es gibt im Alter andere wundersame Erscheinungen. Kolumnisten etwa werden immer bissiger, je weniger Zähne sie haben. Und sie müssen schon dann mit einer Blutvergiftung rechnen, wenn sie sich auf die eigene Zunge beissen.
Das Wundersamste aber ist die fortschreitende Logik im Handeln. Als bekennender Gegner von Olympischen Winterspielen in Graubünden habe ich ein überzeugtes Ja in die Urne gelegt. Der Alterslogik entsprechend. Eigentlich sollte eine Ja-Stimmpflicht für alle ü60 eingeführt werden bei Fragen, von denen kommende Greise gar nicht mehr betroffen sind. Ausser, der Rollator wird bis 2022 als neue Disziplin im Eiskanal zugelassen.
Ausgerechnet die heutigen Altersgenossen provozierten ein Ja zu Olympia. Etwa jene grauhaarigen, subventionsverwöhnten Kulturschaffenden, die sich gegen dieses «kurze Freudenfeuer mit hohen Umweltlasten» ausgesprochen haben. Ist ja gut, dass es Anmasser gibt, die wissen, was der übernächsten Generation frommt. Die den heutigen Jungen vorschreiben wollen, an welchen Feuer sie sich zu erfreuen und welche Lasten sie zu tragen haben. Statt sich an die Worte von Ernst Barlach zu halten: «Es ist das Vorrecht der Jugend, Fehler zu begehen, denn sie hat genug Zeit, zu korrigieren.» Die Griechen erfanden Olympische Spiele vor 2800 Jahren, finanziell haben sie sich bis heute davon nicht erholt.
Von der Muse zwar verschmäht, dafür von der Altersweisheit geküsst ist die Erkenntnis gereift, dass sich die grauen Panther in Enthaltung üben sollten und den Jungen den Entscheid über deren eigene Zukunft zu überlassen haben. Wenn es um die Folgefreuden oder Folgeschäden geht, können wir uns dann bei Erreichen der durchschnittlichen Lebenserwartung zurücklehnen und das tun, was alle Alten machen: Erzählen, wie sie es immer schon gewusst haben. Im Altersheim werde ich mir nie den Vorwurf anhören müssen, ich hätte den nachfolgenden Generationen nicht die Chance gegeben, ihre Fehler selbst zu machen.

Stefan Bühler

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