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Stinkefinger

Wenn es um die richterliche Beurteilung des ausgestreckten Mittelfingers geht, dann ist Stinkefinger nicht gleich Stinkefinger, wie zwei aktuelle Ereignisse deutlich machen. Nichts macht die Justiz so spannend und menschlich, wie ein Stinkefinger im Gerichtssaal. Wohin der Trend geht, ist noch nicht klar auszumachen, aber die Wirkung auf die Richter ist nicht zu unterschätzen.
Sein neustes Musikvideo hat der deutsche Rapper KC Rebell in einem Gerichtssaal gedreht und mit der Justiz mit erhobenem Mittelfinger gleich mal abgerechnet: «Fick die Richter, nur Gott kann mich richten». Vollkommen schleierhaft, weshalb dem Präsidenten des Landgerichtes nun die Drehgenehmigung in seinem Gerichtssaal peinlich ist, immerhin hat er dem Rapper mit kurdischen Wurzeln eine Plattform ermöglicht, während andere Türken noch darum kämpfen, als Journalisten überhaupt in einen Gerichtssaal zu kommen. Das zeigt doch schön, welche Bedeutung blinde Richter dem wichtigsten Prozess des Jahres in Deutschland zukommen lassen. Ein paar mordende Nazis, die Ausländer umbringen, sind auf der Aufmerksamkeitsskala gemäss Richtermeinung weit unten anzusiedeln. Um den Stinkefinger-Level zu erreichen, langt das jedenfalls nicht.
Die Lausanner Richter haben vermutlich das Rüpel-Video aus dem Gerichtssaal gesehen und mussten sich dabei fragen, wie man das noch toppen kann. Es ist ihnen ganz gut gelungen. Das Bundesgericht hat nämlich einem Verprügelten die Versicherungsleistung halbiert, weil dieser seinen Angreifern den Stinkefinger gezeigt hatte. Lebenserfahrung und gesunder Menschenverstand hätten ihn von dieser Geste abhalten müssen, meinen die Richter. Ein weiser Entscheid, gibt er einem nun endlich das verbriefte Recht, jeden zu verprügeln, der einem den Stinkefinger zeigt. In logischer Konsequenz müsste man auch einem Vergewaltigungsopfer die Schuld zuweisen, wenn es etwa einen Minirock trägt oder schlimmer noch: mit einem freundlichen Lächeln provoziert. Das Bundesgericht hat wahrlich eine neue Definition des Verursacherprinzips gefunden. Verdient hat es sich dabei allerdings den doppelseitigen Stinkefinger. Straflos, weil es die Richter selbst provoziert haben. Aber was regen wir uns auf, wenn der gesunde Menschenverstand bei diesen Bundesrichtern in den Gerichtsferien weilt. Sie sind in guter Gesellschaft. Zu erinnern ist an jenen Richter, der McDonald verpflichtete, eine Stella Liebeck mit 2.9 Mio. Franken zu entschädigen. Sie hatte den eigenen heissen Kaffee über sich geleert und dabei Verbrennungen erlitten.
Eine Kathleen Robertson erstritt sich 780 000 Dollar bei einem genauso schlauen Richter, weil sie im Gang eines Supermarktes über ein herumrennendes Kind gestolpert war. Erstaunen löste das Urteil vor allem deshalb aus, weil es sich beim Kind um ihr eigenes handelte. Und der 19-jährige Carl Truman erhielt 74 000 Dollar zuzüglich Arztkosten zugesprochen, weil ihm der Nachbar mit seinem Honda über die Hand gefahren war. Er hatte offenbar übersehen, dass sein Nachbar am Steuer seines Autos sass, als er daran war, dessen Raddeckel zu stehlen.
Es gibt allerdings auch bei den Richtern löbliche Ausnahmen. Etwa jener Bündner Kantonsrichter, der während der Verhandlung eingeschlafen war, plötzlich wach wurde und sich lautstark über den schwachen Staatsanwalt beschwerte. Schade, dass er den Prozess nicht weiter im Gerichtssaal verfolgen durfte, weil er zum Schlaf des Gerechten den Raum verlassen musste. Eine sehr subtile Art zu zeigen, wie ihm das Verfahren stinkt.
Angesichts so viel richterlicher Vernunft ist es unverständlich, wenn immer noch Stinkefinger-Urteile gefällt werden. Stefan Effenberg wurde deswegen 1994 als Spieler an der Fussball- WM ausgeschlossen, Nati-Trainer Ottmar Hitzfeld darf wegen dem gleichen Vergehen zwei Spiele nicht coachen. Der Trend zur liberalen Stinkefingerbeurteilung aber ist nicht zu übersehen.

Stefan Bühler

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