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Chur, auch die Hauptstadt der Tiere

Chur ist die Stadt der Beamten, hier ballt sich
die Wirtschaft, es residiert der Bischof und es konzentriert sich die Kultur. Doch Chur ist auch die Hauptstadt der Tiere. Dass dem so ist, lässt sich vor allem mit Kindern abwechslungsreich
erkunden.

Chur ist bekannt als Metropole des Gewerbes, der Dienstleistungen und der Verwaltung. Weniger bekannt ist, dass Chur auch über eine starke Landwirtschaft verfügt. 1998 wurden in 21 Betrieben 1193 Kühe und Rinder gezählt. 492 Schweine wurden gemästet. Dazu kamen 200 Schafe, ein Dutzend Geissen und nicht weniger als 1875 Hennen. Die Güggel fehlen zwar in den Zahlen, über die das Landwirtschaftsamt verfügt. Vermerkt ist hingegen, dass es zahlreiche Pferdenarren auf Stadtgebiet gibt: 18 Rösseler hielten am Stichtag 130 Stuten und Hengste.

Wo es grunzt, schnaubt und gluckert
Wie bei jeder Statistik fällt auch hier aus dem Raster, was wirtschaftlich kaum von Interesse ist. Wie vielfältig die Tierwelt eines Bauernhofes in Wirklichkeit sein kann, präsentiert einer der grösseren Landwirtschaftsbetriebe der Stadt, der Gutsbetrieb Plankis der J.P. Ho-
sang’schen Stiftung an der Emserstrasse, den Johann Ulrich Salis führt. Der Betrieb mit 28 Hektaren Land und Gärtnerei, wo derzeit 56 Menschen mit Behinderungen sinnvolle und geschätzte Arbeit finden, ist zum Schaubauernhof ausgebaut worden. Tagtäglich kann hautnah erlebt werden, was muht und grunzt, wiehert und schnaubt; gluckert, pfeift und bellt.
Für das Hinkommen sorgt bequem der Stadtbus, Velofahrerinnen und -fahrer erreichen den Hof über den Radweg nach Domat/Ems. Genügend Muse mitzubringen, ist ein Muss: Die Kinder werden sich das Bleiben auf Biegen und Brechen erkämpfen. Beginnen lässt sich der Rundgang im Zuhause der Kühe und Rinder: Ein Freilaufstall, der 56 Grossvieheinheiten soviel Platz bietet, dass die Tiere tun und lassen können, was ihnen behagt. Einige Rinder recken ihre Hälse zum frischen Gras, das ihnen vorgelegt wurde, andere liegen wiederkäuend im reichlich ausgebrachten Stroh. Der Weg nach draussen ist weit offen, die Hälfte der Herde steht neugierig im Freien – jederzeit bereit, mit rauher
Zunge abzuschlecken, was sich durch den Zaun hindurch an Händen, Ärmeln oder Hosenbeinen packen lässt.

Bürobaracke für Schafe und Ziegen
Vom Grossviehstall führt der Weg zu den Schweinen, den Schafen und den Ziegen, die geradezu wohnlich in einer ehemaligen Bürobaracke der Emser Werke untergebracht sind. Mist wird herausgekarrt, und auf dem Platz davor wird der grosse Kanonenofen eingefeuert, um die Kartoffeln für die Schweine abzukochen. Die Aussenwände des Kleintierstalls und der angebauten Remise werden auf ihrer ganzen Länge von Kaninchenställen eingenommen. Über jedem Käfig ist auf Tafeln gewissenhaft notiert, wann das Muttertier geführt worden ist und sich der Nachwuchs eingestellt hat. Warum die Vermehrung der Langohren sprichwörtlich ist, wird hier augenfällig: Die Würfe, die jüngsten noch mit geschlossen Augen, liegen zu grossen Knäueln vereint im Stroh neben den Muttertieren.
Die Mitarbeiter, die das Kleinvieh versorgen, sind mit Eifer und Ernst bei der Sache. Über Fragen freuen sie sich, und sie geben bereitwillig Auskunft, was es in den Gehegen zu sehen gibt. Aus dem Schatten der grossen Bäume dringt das Gebimmel der Milchschafe; ein Esel, der nicht von der Stelle weichen mag, hebt und senkt sein rechtes weisses Ohr. Afrikanische Zwerggeissen; ganz schwarz die alten, mit braun-beigem Fell und feinem dunklem Kamm die beiden Jungen, drängen sich voller Neugier an den Zaun und laufen den Besuchern hinterher. Ein paar Schritte weiter stolzieren Rouen- und Brautenten. Silbrige Appenzeller Spitzhauben mit schwarzen Tupfen und die rebhuhnfarbenen Italiener vertreten die Gattung der Hühner. Die Pfauen, die im gleichen Gehege leben, beieindrucken sie keine Spur. Und auch nicht die Zweibeiner, von denen sie aus kurzer Distanz beobachtet werden können.

Ein Blick auf frischgeborene Kälber
Nicht nur am Hof Plankis, der sich auch mit seinem Schaugarten voll und ganz auf Besucherinnen und Besucher eingestellt hat, sind die Haustiere vertraut im Umgang mit den Menschen. Auch den städtischen Vierbeinern aus anderen Ställen sind Zaungäste ein vertrautes Bild. Beispielsweise den Bewohnern des Waldhausstalles, der zum Gutsbetrieb der Klinik Waldhaus gehört. Hier können Ausflügler einen Blick auf Kühe, und so sie Glück haben, auf frischgeborene Kälber werfen. Unterhalb des Waldhausstalles springt die Flagge Islands an einem umgebauten Bauernof ins Auge: Hier hält das Ehepaar Ruisi zwei herausgeputzte, hellwache Isländer, dreizehn und vierzehn Jahre alt, die auf der Wiese vor dem offenen Stall wilde Sprünge vollführen. Die beiden Schäferhunde, so gepflegt wie die Isländer, verfolgen bellend das Treiben. Ruisis halten ihre Pferde in der Freizeit. Doch wer hinsieht, sieht es rasch: Die Tiere sind ihnen, wie allen begeisterten Reiterinnen und Reitern, nicht Hobby, sondern Leidenschaft.

Ein Paradies für Wasservögel
Ohne das Engagement und den Idealismus von Tierfreunden wäre die Fauna der Stadt Chur denn auch niemals so vielfältig: Bei der Neumühle, vom Rheinquartier aus bequem zu Fuss zu erreichen, haben Hanspeter Mehli und Herrmann Ochsenbein in den letzten Jahren ein Paradies für Wasservögel geschaffen. Der Aufstau des Mühlbachs, der unterhalb ein Kleinkraftwerk antreibt, sorgt für das nötige Wasser. Kleine Häuser auf vertauten Flossen bieten dem Gefieder Quartier. Bei schönem Wetter ist der Teich von Kindern belagert. Auch am angrenzenden Gehege mit 20 Entenarten, einem Pfauen-paar und zwei schwarzen Schwänen sind die Kleinen kaum wegzubekommen, wenn es viel zu früh nach Hause geht. Glück mit den Wasservögeln haben die Kinder aus dem Lacuna-Quartier mit ihrem grosszügiger Teich.

Geschnatter an der Gürtelstrasse
Ganz den Gefiederten widmet sich auch Jürgen Dettmann in seiner Freizeit. Der Baupolier unterhält an der Kreuzung zwischen Gürtel- und Rheinstrasse ein Unikum auf Stadtgebiet: Das heruntergekomene Gebäude einer ehemaligen Gärtnerei dient bis unter den Dachstock Vögeln jeder Gattung als Quartier: Zwar ist das Gelände nicht zugänglich, einen Blick durch den Zaun zu werfen und die Ohren zu spitzen, lohnt sich aber immer: Das Geschnatter, das Fiepen und Krähen kommt aus Dutzenden von Kehlen. Dazu gesellt sich das Gurren der Tauben, die sich wie überall in der Stadt auch in diesem Volgelparadies niedergelassen haben.

Churer Wappentier in Blicknähe
Ist von Churs Tieren die Rede, muss auch das Wild erwähnt werden, das die Wälder zahlreich bevölkert. Rehe lassen sich oft und leicht beim Fürstenwald beobachten. Im Gebiet der Nassen Platte und in den talnahen Felsbändern des Calanda sind mit viel Glück Gemsen zu Gesicht zu bekommen. Selbst Steinböcke zählen zum Churer Wild: Sogar in unmittelbar Nähe der St. Luzi-Kapelle sind schon zwei kapitale Exemplare beobachtet worden. Ein Hinweis auf die beiden Spezies, die sich wie keine anderen darauf verstehen, zu menschlichen Streicheleinheiten zu kommen, darf schliesslich nicht fehlen: Gegen tausend Hunde werden auf Churs Strassen, Gassen und Wegen ausgeführt. Die Zahl der Katzen ist unbekannt, dürfte aber mit Sicherheit weit über jener der Hunde liegen.

Ein «Zoo» im Jahr 2000?
Chur wird im nächsten Jahr noch viel attraktiver: Architekt Thomas Domenig wird, wenn alles nach Plan läuft, auf dem Gelände der ehemaligen Pulvermühle einen Zoo mit einheimischen Tieren einrichten. Schafe, Hühner, Geissen, Enten usw. All jene Vierbeiner und gefiederten Freunde, die am Plankis an einem Ort und in einzelnen Exemplaren in der ganzen Stadt anzutreffen sind, werden dort zu bewundern sein, wo einmal Schwarzpulver hergestellt wurde. Ein wertvoller Baumbestand wird Schatten spenden und das Wasser des Mühlbachs wird einen Weiher speisen, der nicht nur den Haus-, sondern auch einheimischen Wildtieren als Tränke dient.
Domenig wird in seinem Plan unterstützt von Garagist Walter Tribolet und von Christian Theus, dem Verwalter des Waffenplatzes. Laut Theus ist das Projekt überall wohlwollend aufgenommen worden. Derzeit werden die Pläne vom Generalstab geprüft. Dabei geht es um Sicherheitsfragen, die gemäss Theus alle gelöst werden können. Unterstützung signalisieren nicht nur die involvierten Bundesstellen, sondern auch die Stadtverwaltung und die Denkmalpflege. Und so hoffen die Initianten, dass die nötigen Verträge noch dieses Jahr unterzeichnet werden können. Der Streichelzoo könnte damit im Jahr 2000 seine Tore öffnen.

Ueli Handschin