«Churermacher» Ernst Kuoni: «Man darf nicht glauben, man sei unersetzlich»
Seit 12 Jahren ist er Präsident des Churer Bürgerrats. Ende 1999 ist damit Schluss. Ernst Kuoni möchte sein Amt in jüngere Hände legen. An der Urnenwahl vom 24. Oktober wird seine Nachfolge bestimmt. Gerade erst hat er seinen 70. Geburtstag gefeiert. Doch sein Elan ist ungebrochen. Dennoch findet es Ernst Kuoni an der Zeit, seinen Sessel nach zwölfjähriger Tätigkeit als Bürgermeister zu räumen. «12 Jahre», sagt er, «sind genug». Auch habe er das Alter erreicht, in dem man solche Ämter abgeben sollte. Arbeit und Wirken hätten ihn sehr befriedigt. «Aber man darf nicht glauben, man sei unersetzlich. Mit neuen Leuten kommen neue Ideen. Und das ist gut so», sagt Kuoni. Er, der weltoffene, weitgereiste und an fremden Kulturen Interessierte ist stolz darauf, gebürtiger Churer zu sein. Ein Churer Herz und Seele mit grossem Engagement in seiner Stadt. Er ist aber auch stolz auf seine Vorfahren. Sie wanderten als Zuckerbäcker, der Not gehorchend, in alle Himmelsrichtungen aus. «Als Gastarbeiter in der Fremde schätzten sie es, wenn sie gut aufgenommen wurden und eine neue Chance erhielten», zieht Ernst Kuoni Parallelen zwischen früher und der heute praktizierten offenen Einbürgerungspolitik der Bürgergemeinde Chur. Ungelöste
Einbürgerungs-Problematik Mit der offenen Politik, die Kuoni seit seiner Amtszeit versucht zu praktizieren, eckt er daher immer wieder einmal an. «Deshalb ist und bleibt dies vorderhand eine ungelöste Problematik». An seiner eigenen weltoffenen Sichtweise jedenfalls wird das nichts ändern. «Man muss offen sein auch für Leute, die aus anderen Kulturkreisen stammen». An den Film «Die Schweizermacher» erinnert sich Kuoni noch gut. Wenn man aber die damals aufgezeigte Film-Realität auf die Churer Bürgergemeinde übertragen wolle, so sei dies absurd. «Ich stelle zwar auch ausländischen Bewerbern einige Fragen zu unserem Staatssystem, aber die wissen oft mehr darüber, als die Schweizer selbst.» Von Ausländern, die zu Churer Bürgern «mutierten», «wurden wir noch nie enttäuscht», bestätigt Kuoni. Bürger
engagieren sich Wenn diese Aussage noch eines Beweises bedarf, so ist dies beispielsweise die ausserordentliche hohe Stimmbeteiligung. «Wir erreichen oft die 50 Prozent-Marke», sagt Kuoni und doppelt gleich nach: «Eine Stimmbeteiligung von über 40% ist eher die Regel als die Ausnahme.» Auch zu den Orientierungsversammlungen und anderen Zusammenkünften strömen die Bürgerinnen und Bürger regelrecht. Als Phänomen mag Kuoni dieses grosse Interesse der Bürger aber nicht unbedingt bezeichnen. «Es ist die ausgeprägte emotionale Bindung an die Bürgergemeinde», erklärt er das Interesse und das Engagement. «Bei uns geht es noch um überschaubare Fragen an einem überschaubaren Ort. Zudem richten wir unsere Politik auf das Gesamtinteresse der Stadt aus. Materielle Vorteile hat dabei ein Churer Bürger nicht.» Für Kuoni mit ein Grund, weshalb die Bürgergemeinde zwar ein Relikt aus alten Zeiten, aber noch lange kein alter Zopf ist. «Die Bürgergemeinde hat aber nur dann eine Chance zu überleben, wenn eine offene Einbürgerungspolitik betrieben wird und wenn die Politik und die Aktivitäten auf die Gesamtinteressen der Bevölkerung ausgerichtet werden.» Für Kuoni bedeutet dies, auf Privilegien zu verzichten und mit den Behörden eng zusammen zu arbeiten. «Wenn sich die Bürgergemeinde jedoch zurückzieht und so zu einem elitären Gebilde wird, dann kann sie nicht mehr funktionieren.» Einsatz
für das Gemeinwohl Wie
schon für seine Aufgaben als Kantonstierarzt hat sich Ernst Kuoni ebenso
als Bürgermeister engagiert eingesetzt. «Das Schönste an meiner Tätigkeit
war für mich immer, dass viele Leute aktiv mitgedacht und
unsere Politik mitgestaltet haben». Beachtlicher Grundbesitz Das Grundeigentum der Bürgergemeinde Chur ist nach wie vor sehr beachtlich. Es betrug gesamthaft 42'174'027 Quadratmeter. Davon befinden sich 15'928'737 Quadratmeter auf dem Territorium der Stadt Chur und 12'499'081 Quadratmeter auf dem Gebiet der Gemeinde Arosa. In einer Definition dieses Grundeigentums wird im Verwaltungsbericht festgehalten: «Bis 1874 stand das Eigentum am Gemeindevermögen ausschliesslich der Bürgergemeinde zu. Mit der Schaffung der politischen Gemeinden durch das Niederlassungsgesetz ist eine völlig neue Situation entstanden. Die Bürgergemeinde ist zwar Eigentümerin geblieben, die Nutzniessung (finanzieller Ertrag) ist aber an die Stadt (Stadtkasse) übergegangen. Eine Ausnahme bilden nur die Gemeindegüter und das Armengut, deren Erträge zugunsten der Bürgergemeinde gehen.» Auch wenn die Aufgaben der bürgerliche Fürsorge am 1. November 1995 an das Sozialamt der Stadt Chur übergegangen sind, so hat die Bürgergemeinde für ihre aus den verschiedensten Gründen in finanzielle Notlagen geratenen MitbürgerInnen im vergangenen Jahr insgesamt 52_337 Franken aufgewendet. Von den 16 Unterstützungsfällen entfielen 9 auf die Stadt Chur und 7 auf die übrige Schweiz. Im Verwaltungsbericht 1998 wird dazu ausgeführt: «Die Bürgergemeinde trägt aber nach wie vor die Sozialhilfekosten für ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger, hat sich also nicht vollständig von dieser wichtigen und vornehmen Aufgabe getrennt. Bürgerinnen und Bürger, die Rat suchen, finden bei uns offene Türen und offene Ohren. Wir stehen ihnen hilfreich zur Seite und versuchen auf diese Art, Sozialfälle zu vermeiden.» Die Bürgergemeinde Chur hat aber auch immer wieder eine offene Hand für kulturelle Aktivitäten. So wurden im Jahre 1998 an kulturelle Tätigkeiten, die einen Bezug zu Chur nachweisen konnten, insgesamt 24'000 Franken ausgerichtet, die Hälfte dieses Betrages allein zur Restfinanzierung der Neuinstrumentierung der Stadtmusik Chur. Buch
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