«Röteli» und
Königin der Wurst nehmen gerne Rache Am Churer «Röteli»-Likör und an der Churer Beinwurst ist die Technologie spurlos vorübergegangen. «Röteli» und Beinwurst werden noch immer in aufwändiger Handarbeit hergestellt. Beide haben aber noch eine Gemeinsamkeit: Der Röteli rächt sich bei übermässigem Genuss mit Kopfweh, die Beinwurst mit oft unauslöschlichen Spuren. Sie gehören zu Chur wie der Martinsturm: Der «Röteli» und die Beinwurst. Ob die beiden Produkte in Chur «erfunden» wurden, ist nicht verbrieft. Dass die Herstellung aber auf eine lange Tradition zurückgeht, schon. Und dass zwei Churer eine Meisterschaft bei der Produktion ihrer Spezialitäten entwickelt haben, daran zweifelt wohl ebenfalls niemand. Während Fritz Schiesser sich als einziger Churer Metzger auf die Perfektion der Churer Beinwurst verlegt hat, versteht es der ausgebildete Drogist Hans Ullius, aus Berg- oder Bio-Kirschen, Kirschsaft, Hochprozentigem und Gewürzen, den ebenso berühmten Churer «Röteli» nach altem Rezept zu brauen. Die Königin der Würste Die Churer Beinwurst ist trotzdem ein Leckerbissen - zumindest für denjenigen, der sie mag. Und mögen tun sie allen voran die Männer. Aus unerfindlichen Gründen können sich viele Frauen nicht für die traditionelle Wurst begeistern. Fritz Schiesser kann sich diese «frauenfeindliche» Haltung gegenüber dieser besonderen Delikatesse auch nicht so recht erklären. Ist es, weil die Beinwürste wie das Amen in der Kirche mit Sicherheit immer an den traditionellen Herrenabenden auf den Tisch kommen? Weil die Beinwurst-Spuren schwerlich zu tilgen sind? Weil die Wurst ausser magerem Fleisch auch Knochen und Schwarten enthält? Oder weil sie, wie ein Kritiker 1886 in den «Bündner Nachrichten» (mit nachfolgendem Protest) zu bemerken wagte, «auch weniger verwöhnten Gaumen ein unangenehmes Beissen, Brennen und Kratzen entzündet?» Wie auch immer. Man(n) (und Frau) ist für sie oder gegen sie. Man liebt sie, oder verachtet sie. Dabei geniesst sie bei Churern genau so wie bei den übrigen Bündnern und den Heimwehbündern sowohl in der ganzen Schweiz als auch im Ausland einen nachhaltigen Ruf. Darauf, dass der gute Ruf noch lange erhalten bleibt, achtet Fritz Schiesser, gleichsam der Hüter der Churer Beinwurst, ganz genau. Das hohe Ansehen verpflichtet Handarbeit ist unabdingbar Fritz Schiesser und seine Mitarbeiter haben deshalb zwischen Oktober und der Fasnacht alle Hände voll zu tun. In dieser Zeit verlassen die Metzgerei 1,5 Tonnen Beinwürste in den verschiedensten Grössen. Das sind dann so an die 3000 Würste, die all diejenigen, die sie essen, für kurze Zeit - Fettspritzer hin, Fettspritzer her - im Glück schwelgen lassen. Die Erinnerung an das gute Stück hält sich jedoch hartnäckig bis zur nächsten Beinwurstsaison. Churer Röteli Grundlage dieser traditionellen Churer «Ullius»-Spezialität, die auch Bündner Spitzenköche für ihre Dessertkreationen entdeckt haben, sind Obstbranntwein sowie schwarze Berg- oder Biokirschen, «um die schöne Farbe zu erhalten», wie Ullius erklärt. Der traditionelle Röteli-Hersteller pulverisiert zuerst Gewürze, wie Zimt, Zimtblüten, Nelken, Vanilleschoten und Piment, die er dann in Alkohol einlegt. Dem zweiwöchigen Rührvorgang schliesst sich das Filtrieren an. Aufgefüllt wird der 400 Liter Tank mit zusätzlichem Alkohol, Kirschsaft, Zuckersirup und Wasser. Rund zwei Monate später kann der Röteli nach einer zweiten Filtrierung in Flaschen abgefüllt werden. Für Hans Ullius ist die Arbeit dann aber noch lange nicht zu Ende. Um die Nachfrage nur einigermassen abzudecken, setzt er pro Jahr drei bis vier Röteli-Fässer an. Die 2000 bis 3000 Flaschen finden ihre Abnehmer, darunter auch zahlreiche Besucher Churs, schnell. Da der süsse Likör 28 Volumen Prozent Alkohol enthält, empfiehlt Hans Ullius, ihn «gläschenweise» zu geniessen, um der süssen Rache zu entgehen. Karin Huber |