Walter Belina
und Norbert Joos: Bergsteigen als Lebenselixier Die innere Flamme, die sie antreibt, sie verlöscht wohl nie. Sie leben fürs Bergsteigen. Walter Belina, im Dezember 80 Jahre alt geworden, trägt das Feuer noch genau so in sich wie der 40 Jahre jüngere Norbert Joos. Trotz des grossen Altersunterschiedes haben die beiden Churer Alpinisten Walter Belina und Norbert Joos vieles gemeinsam. Zuerst ist da das innere Feuer, das beiden innewohnt und das beide zu ausserordentlichen Leistungen befähigt. Ihr vordergründiges Ziel ist es dabei nicht, einfach Sechs-, Sieben- oder Achttausender aneinander zu reihen. Wichtiger ist ihnen allem voran die Natur. Ihre Lebensphilosophien sind deckungsgleich und auch das, was der eine über den anderen zu sagen hat: «Norbert war schon immer etwas Besonderes. Er hat einen grossen Willen und erbringt grosse Leistungen, ohne sich vom Ehrgeiz zerfressen zu lassen. Vielmehr behält seine Frohnatur die Oberhand.» Und umgekehrt: «Walter war schon immer etwas Besonderes Wenn ich ihn anschaue, wie er da sitzt, so gesund und zufrieden und wenn ich sehe, was man mit 80 noch alles machen kann, dann freue ich mich darauf, alt zu werden.» Bescheiden war Walter Belina ein Leben lang. Unbescheiden nur dann, wenn es ums Bergsteigen ging. Seine Ziele hat er mit viel Beharrlichkeit und Ausdauer erreicht. «Es gibt Bergsteiger, die einfach einmal alle Achttausender machen wollen. Für mich zählte immer nur eines: Die Welt und dabei natürlich auch ihre kleineren und grösseren Berge kennenzulernen.» Walter Belina hat seine Reiselust ausgelebt, was nicht gleichbedeutend damit ist, dass er heute einfach die lebenslang trainierten Beine auf dem Sofa ausstreckt. Seine Abenteuerlust ist ungebrochen, weshalb er noch immer in der Weltgeschichte herumreist; weshalb er in den Sommermonaten die näheren und weiteren Berge erforscht und weshalb er in den Wintermonaten die Langlauf- oder Alpinskier aus dem Keller holt und weit Jüngeren locker davonfährt. «Alter schützt vor Leistung nicht» «Alter schützt vor Leistung nicht.» Diesen Satz hat schon vor bald einmal 30 Jahren Toni Hiebeler über Walter Belina geschrieben. Belina, zu jener Zeit 53-jährig, konnte schon damals auf ein reiches Bergsteigerleben zurückblicken. Als andere in diesem Alter langsam an den Ruhestand dachten, schmiedete er noch hochfliegende Pläne und erlebte gerade seinen zweiten bergsteigerischen Frühling. Der gelernte Fernmeldespezialist und Inhaber des Bergführerpatents, der 1945 aus dem Unterland zurück nach Chur kam und erste Kontakte mit dem Churer Kletterclub pflegte, setzte hier fort, was er als Kind und junger Bursche in seinem Heimatort Versam kennen und schätzen lernte: Das Bergsteigen. Es sollte zu seinem Lebensinhalt werden. Während Jahrzehnten sind ihm vorab in Europa ungezählte, teilweise sehr bedeutende Besteigungen in Fels und Eis gelungen. Als Mitglied der Tourenkommission im SAC-Zentralkomitee organisierte Belina ab 1976 Bergsteigerreisen in die USA, die einstige UdSSR, Ostafrika, Bolivien, Peru, Nepal und Kanada. «Weisse Flecken auf der Erde gibt es aber immer noch», schmunzelt Belina leise. Neuseeland etwa, Australien auch oder die Antarktis hat er bislang nicht bereist. Den grossen Rest, ja, den habe er allerdings gesehen und auch viele der Sechs- und Siebentausender bestiegen. Den 7134 Meter hohen «Pik Lenin» in Kasachstan, gleichsam «sein» höchster Berg, die Dolomiten, Torre Trieste, die Drusenfluh, die Sulzfluh, den Montblanc, die Badile-NO-Wand - nur gerade eine winzig kleine Auswahl jener Berge, die er bestiegen hat, dafür Berge «die wirklich zählten». Dabei meisterte der Alpinist ebenso die schwierigsten Routen in Norwegen, Rumänien, in den Anden, in der Hohen Tatra, Afrika und an unzähligen anderen Orten. In Nepal war er gleich drei Mal. «Doch die Zeit für die Besteigung der Achttausender», so Belina, «war damals noch nicht gekommen.» Für Belina kein Unglück. «Ich war und bin genau so gerne in den Bündner Bergen. Ich habe immer schon sehr gerne viele kleine Touren gemacht. Viel wichtiger als Achttausender zu besteigen oder schwierige Routen zu begehen ist für mich die Freude an der Bewegung.» Und die hat er auch an vielen alpinen Skirennen oder Langlauf-Weltmeisterschaften gesucht. Eine lange Liste seiner Rennen in beiden Disziplinen weist seine unzähligen Erfolge aus. Faszination Natur Egal wie man die Fragen nach der Faszination des Bergsteigens auch stellt, die Antwort ist immer die gleiche. «Es ist die Natur, die fasziniert. Wir sehen so vieles, was andere nicht oder nicht mehr sehen.» Aus der Stimmlage von Joos ist nach wie vor eine leichte Verwunderung über die erfolgsorientierten Business-Leute heraus zu hören. Es schwingt indes gleichzeitig eine leise Zufriedenheit darüber mit, diesen Tanz ums goldene Kalb ausgelassen zu haben. Joos, der für grosse Unternehmen Managerkurse leitet, weiss von was er spricht. «Viele werden Opfer ihres eigenen Ehrgeizes und vergessen darüber die Natur und ihre Schönheiten.» Ehrgeizig auf eine andere Art ist allerdings auch Norbert Joos, der sich seine Ziele ebenfalls ganz schön hoch gesteckt hat. Obwohl schon Hunderte von Gipfeln «erstürmt», sind da noch immer einige, die er ganz gerne besteigen würde und es eines Tages wohl auch tun wird: So etwa den Cerro Torre in Patagonien und den Mount Everest. Lebensphilosophie ausleben Träume, merkt Joos mehr zwischen den Zeilen an, seien schliesslich dazu da, verwirklicht zu werden. «Aber», so Joos pragmatisch, «wenn es nicht klappt, kann ich auch damit leben.» Ein Vergnügen sei eine solche Tour ohnehin nicht, vielmehr ein einziger grosser «Chrampf». Denn den Everest müsste man schon ohne Sauerstoffflasche schaffen. «Sonst ist man eine Flasche.» Doch die Essenz, die letztlich für beide zählt, das ist und bleibt die Natur und das was beide daraus schöpfen: Inneres Glück, innere Zufriedenheit. «Das Schlimmste was uns passieren könnte, wäre es, wenn man uns in den eigenen vier Wänden einsperren würde » Brotloser Sport Weil Bergsteigen zeitaufwändig und immer auch mit hohen Kosten verbunden ist, hat Walter Belina schon in jungen Jahren, wenn immer möglich, jeden Rappen auf die Seite gelegt. «Aber eine Mount-Everest-Tour etwa, die hätte ich mir nie und nimmer leisten können.» In den Kreis jener Leute, die genügend Geld für ihre Expeditionen hatten, sei man erst gar nie hineingekommen. «Bergsteigen», sinniert Belina, «war in früheren Zeiten deshalb eigentlich immer eine brotlose Angelegenheit.» Heute hingegen seien nicht nur die technischen Möglichkeiten sehr viel besser, sondern eben auch die finanziellen. Das weiss auch Norbert Joos. Damit der gelernte Förster seine Exkursionen finanzieren kann, hält er nebst seiner Arbeit in seinem 1993 eröffneten Churer Sportgeschäft Vorträge, ist als Bergführer tätig, begleitet Trekking- und Kletterexkursionen und weist Manager in die Philosophie des Bergsteigens ein. «Sie lässt sich gut auf die Geschäftstätigkeit übertragen: Man braucht hier wie dort einen extremen Willen, um ein Ziel zu erreichen.» Und schliesslich, ergänzt Walter Belina, sei Bergsteigen ja auch eine Art der Charakterbildung. «Man ist aufei- nander angewiesen, man schätzt die Zuverlässigkeit und das Vertrauen.» Kaum zufällig setzt er sein Lebensmotto gleich mit «Zufriedenheit, Ehrlichkeit und Fairness». Gefahren nicht immer kalkulierbar Doch wer seine Lebensphilosophie so wie Joos oder
Belina gefunden hat und sie im täglichen Leben lebt, braucht Partner und Freunde mit dem
notwendigen Verständnis. Ihre Pläne und Ziele, die oft genug das Norm-Mass sprengen,
wirken sich auf das private Leben aus. «Viele Ideen», so Joos, «fliessen in Projekte
ein und lassen deshalb wenig Raum für anderes.» Oft stosse man an Grenzen, frage sich
dabei selbst, ob man eigentlich völlig übergeschnappt sei. Dann aber macht man es wieder
und wieder, sucht nach neuen Herausforderungen. Auch dann, wenn die Gefahren nicht immer
kalkulierbar sind. «Vieles ist nicht voraussehbar. Weil wir aber über grosse Erfahrungen
verfügen, können wir gewisse Dinge besser einschätzen. Aus schlechten Erlebnissen lernt
man, die guten bleiben ein Leben lang im Gedächtnis.» |