Das Streichquartett Das Alban Berg Quartett mit seinen Aufnahmen der Streichquartette von Mozart, das gefällt ihm. Er findet es schlicht und einfach Spitze. Gerne hätte er es auch mal in einem Konzert erlebt. Gelegenheit dazu bot sich, doch es gab, wieder einmal, seine bekannten drei Gründe: Weg - Zeit - Eintrittspreis. Später, als er der Presse die ausgezeichneten Kritiken entnahm, bereute er, auch wie immer, dass er erneut seinen drei Gründen widerstandslos nachgegeben hatte. René, ein alter Kamerad, angegraut, Abteilungsleiter in einem Geldinstitut, das Wort Bank nahm René nie in den Mund, fand seine Schwärmerei für das Streichquartett zwiespältig und einfach auch mal falsch. Für René eine Unvereinbarkeit, dass ein sogenannt alter Beat, die Beat Generation lässt grüssen, einfach so dir nichts, mir nichts, sich zum Streichquartett-Guru mauserte. Auch sie hatten vor über dreissig Jahren ein Quartett, allerdings eines das Beatmusik machte; kurz: eine Band namens the dogs. Zwei weitere Schulkameraden ergänzten diese Formation . Kellerloch, spärliches Licht, Feuchtigkeit, eine permanente Gefahr für die miserable Verstärkeranlage (Occasionsware der billigsten Sorte). René war der eine Gitarrist, er, was er gerne härte, der Paul Mc Cartney und der Bill Wyman in einem an der Bassgitarre. Renés Bruder, für eine Beatband völlig ungeeignet, hatte Können und Geschick und bastelte ihnen aus alten Radios ganz verträgliche Verstärkerboxen. Pech war's dann nur, wenn das Ding kurz vor oder, was die reine Katastrophe darstellte, während eines Auftritts den Dienst verweigerte. Schlimmer noch, wenn der Verstärker nach einigen vorerst gezielten und dann nur noch verzweifelten Fusstritten endgültig den elektronischen Geist aufgab. The dogs, waren, um es einigermassen gerecht zu formulieren, nicht die Grossen im lokalen Showgeschäft, oder was man dafür hielt. Das Hitparadeeingemachte kam noch ganz ordentlich rüber. Was sie vielleicht noch ein wenig auszeichnete und hie und da von den andern Bands in der Stadt abhob, war das Spielen von eher seltenen Bluesnummern. Niemand, am allerwenigsten sie, die Bandmitglieder selbst, störte es, dass sie den zauberhaften Blues des eher wenig bekannten Bluesers aus dem Missippidelta zur Eigenkomposition erklärten. Bis so ein absoluter Blueskenner der Sache je auf die Spur kam, so waren sie überzeugt, gab es the dogs längst nicht mehr. An Stadtfesten und Klassenfeten interessierte nun auch niemand was da urheberrechtlich in Ordnung war und was nicht, Hauptsache: the dogs legten los was das Zeug hielt. René hatte die Fähigkeit sich auf der Bühne zu bewegen wie seine grossen Vorbilder von John Lennon, über Burdon bis hin zu Mick Jagger. Das gefiel den Mädchen, weniger den Bandkollegen. Erinnerungen tauchten nun auf, abrufbar und doch so weit weg. Kürzlich hatte er auf dem Estrich wieder was gesucht und stiess da auf einen Gitarrekoffer. Da war mal was mit Goldspray hingeschrieben: the dogs ! Mühsam zog er den Koffer hervor, musste ihn aufbrechen, da sich das grünspanverdeckte Schloss nicht mehr öffnen liess. Da lag sie vor ihm, seine Bassgitarre Ja, er war der Paul Mc Cartney und Bill Wymann gleichzeitig Nicht immer zu seiner Zufriedenheit und seinem Glück: der Bassist galt als der ruhende Pool, meist mehr im Hintergrund. Was er eigentlich da auf dem Estrich gesucht hatte, hatte er vergessen. Die Bassgitarre rief die Vergangenheit mit einem Schlag zurück. Frau und Söhne standen ungläubig staunend und verlegen lächelnd unter der offenen Bürotüre: Vater zupfte am Bass. Er wusste, er musste die Erklärung für sein Verhalten gleich abgeben sonst verkam die Situation zur Lächerlichkeit. Er aktiviere seinen Bass und sich, sie würden noch staunen. Damit gaben sich die Familienmitglieder vorerst zufrieden. Nun verkamen die Vergangenheitsträume zu grell zuckenden Bilder, mehr noch, zu hastig ablaufenden Filmsequenzen. Jeglicher vernünftige Einwand verkam zur Luftblase, die eigentlichen Luftblasen nahmen in seinem Kopf stets konkretere Formen an. Das Phantasieprodukt wandelte sich zur Realität und es stand für ihn hier in den eigenen Bürowänden, mit der alten Bassgitarre umgehängt, unerschütterlich fest: es gibt eine Neuauflage von the dogs. Alben Berg Quartett und Magie und Mystik des Streichquartetts hin oder her. Was die Status Quo, was die Byrds können, können wir auch. überhaupt: die Stadt wartet darauf, das ist sicher. Die Hits von damals von Memphis Tennesssee über Rock and Roll Music bis hin zum absoluten Topklassiker Satisfaction die waren bald wieder intus und diese Sachen waren nach wie vor heiss. Hatte nicht neulich einer seiner Söhne ihm die LP out of our heads von den Rolling Stones hingehalten und kennerhaft gemeint, die hätten nun wirklich coole Musik gemacht. Da lag der generationsbedingte Unterschied: vor über dreissig Jahren gab es heisse Sachen, heute sind sie cool. Also, doch, die Zeit schien reif, die alte Beatmusik dem Techno- und Hip-hop-Sound entgegenzustellen. Es brauchte nur noch die berühmten Telefonanrufe an die alten Kameraden. Doch der Telefonanruf gestaltete sich mit zunehmender Zeit zu einem Albtraum: wie reagieren die Kameraden? Er, als bekennender Streichquartett-Liebhaber? Hatte er einen üblen Spass mit ihnen vor, gab er sie der Lächerlichkeit preis ? Wie sah die Sache aus, wenn die Reaktionen negativ und vernichtend ausfallen würden? Träume eines Nachmittages die auf dem Estrich ins Leben gewandelt worden waren! Man musste den Plan vorsichtig angehen. In einem belanglosen Sondieren in der nahen Gartenbeiz könnte die Chance liegen. Vorsichtiges heran tasten. Planung war alles, das war stets seine Devise. Man traf sich fast schon regelmässig zum Bier und unterhielt sich über Gott und die Welt. Was war es, dass ausgerechnet beim heutigen Treffen René auf die Reunions der alten Beatbands wie Byrds, Crosby, Stills, Nash and Young. sogar auf Toni Vescolis Swiss Beatles, les Sauterelles, zu sprechen kam? Gedankenübertragung, ein absolut gutes Omen, den Plan an die Männer zu bringen. Nein, noch war es zu früh, Begeisterung zum Thema war noch kaum bei den alten Kameraden auszumachen. Die Preisgabe konnte in diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgen; Vorsicht. Da, mit einem gemessen an den gegebenen Umständen entsprechend eleganten Sprung erhob sich René vom Stuhl, warf den Kopf in den Nacken, tat als er hielte er eine Gitarre in Händen und brüllte in das Gartenrestaurant: I can't get no satisfaction - yeeeeaaaahhh! Das war nun doch das Stichwort, ja jetzt musste der Plan heraus, jetzt und blitzartig, die Chance. Er wollte es René gleichtun und ebenfalls aufspringen und satisfaction skandieren. Da brach René abrupt seinen Kurzauftritt ab, setzte sich hin, schüttelte den Kopf und lachte dazu: «nein, nein - was soll das. Stellt euch vor, wir the dogs würden wieder wie alte Esel über die Bühne hopsen? Dazu noch ein Bassist der auf Streichquartette steht! Zum Totlachen!» Für ihn war es nicht zum Totlachen, vielmehr zum Totumfallen. Das war klar und deutlich. Das waren mehr als zehn blaue Augen die er davon trug. Ein Glück, mehr noch, ein Wunder, dass er seinen Plan im richtigen und allerletzten Augenblick zurückhielt. Welche Schande, das Gelächter. Er, der Mc Cartney/ Wyman nochmals auf den Stadtfestbühnen! Dieses Wechselbad der Gefühle schlug ihm tüchtig auf Seele und Magen. Unter dem dahin gemurmelten Vorwand, er müsse sich empfehlen, es sei ihm plötzlich schlecht, verliess er Gartenwirtschaft und Kameraden. Wie er nach Hause gekommen war wusste er nicht mehr, nur spürte er es deutlich: es war im tatsächlich hundeübel. Da gab es nur noch eines, sich hinlegen, versuchen zu schlafen und wohl das wichtigste: die Comebackträume von the dogs wieder ins Unterbewusste zu befördern, schnellsten und nie wieder zurückkehrend. Seine Frau rüttelte ihn Sanft aus dem Schlaf und hielt ihm ein Kuvert hin. René hätte es abgegeben. Eigentlich wollte er es ihm in der Gartenbeiz übergeben, doch als er so plötzlich verschwunden sei...Schlaftrunken und doch neugierig riss er das Kuvert auf. Herausfielen zwei Konzertkarten: Beste Plätze für ein Alban Berg Quartett Konzert ! Kurzgeschichten des Churers Domenic Buchli sind in verschiedenen Medien publiziert und ausgezeichnet worden. Bekannt ist er zudem für seine regelmässigen Jazzkonzert-Kritiken im «Bündner Tagblatt». |