Mona Lisa - eine Kurzgeschichte |
Mona Lisa in der Stadt - eine Art von Kriminalmärchen Mit Jacques, dem Vorsitzenden im Departement für Kultur, zuständig für den Louvre in Paris, war Lorenz Camenisch, seines Zeichens Direktor des Kunsthauses, recht gut befreundet. Vor Jahren bei einer Fachtagung im Louvre lernte er den smarten Franzosen - das Wort Pariser ging Lorenz nur schwer über die Lippen - kennen. Die Kontakte in der Seinestadt beschränkten die beiden nicht auf die Kunst: Jacques führte den Bergler, der seine Studien mit einer Arbeit über Alois Carigiet abschloss, auch durch das weltberühmte Nachtleben. Dabei wurde auch reichlich dem Wein zugesprochen. Mit Anstieg des Alkoholpegels im Blut ging es, später wusste keiner der beiden mehr um was genau, um eine Wette. Lorenz versprach dabei Jacques, im Falle des Verlierens ihm einen Carigiet zu geben. Jacques seinerseits versprach dem Kunsthaus für einen Monat die Mona Lisa zur Verfügung zu stellen. Am Tag darauf im Viersternhotel am südlichen Seineufer hatte Lorenz ausschliesslich Kopfschmerzen wegen dieses unglaublichen Angebots. Es hatte ihn auf einen Schlag nüchtern werden lassen. Wie das Leben oft so spielt: die Wette wurde von Lorenz gewonnen. Nun wartete er fieberhaft, schon traumatisiert, wie Jacques reagieren würde. Dieser nahm die Sache äusserlich gelassen und meinte lächelnd: eh, voilà. Gegen fünfzig Mal mindestens liess sich Lorenz diese sensationelle Zusage mündlich wie schriftlich bestätigen. Es ging dann dem netten Jacques fast zu weit und er drohte, sein Angebot zurückzuziehen. Statt dessen biete er Lorenz einen Abend im Moulin Rouge an. Für einen kurzen Augenblick zögerte Lorenz Camenisch: hier die Mona Lisa im eigenen Kunsthaus, dort der Abend im Moulin Rouge. Doch er entschied sich für die Mona Lisa. Auf der Eisenbahnfahrt zurück nach Hause begann er bereits die Präsentation zu planen. Dabei erlebte er ein Wechselbad der Gefühle, Hoffnungen und Zweifel. Sicherheit war erstes Gebot, Publicrelations, Besucherströme kanalisieren. Bietet die Stadt genug Betten für das Publikum aus der ganzen Welt. Dinge, um die sich Camenisch bislang kaum zu kümmern hatte. Als er die Grenze überquert hatte, stand fest: ein Sonderausschuss mit klar definierten Kompetenzen galt es zu bilden, mit ihm natürlich an der Spitze. Dazu Sicherheitssachverständige, Logistiker, Touristiker, und, und, und. Zu Hause angekommen, ausgestattet mit einem fertigen Plan, musste dringend Überzeugungsarbeit für das Unternehmen Mona Lisa gestartet werden. In seinem zuständigen Departement unterbreitete er dem Sekretär das Anliegen. Dieser schaute ihn ungläubig an und meinte tüchtig verstimmt: Camenisch und Paris gleich zuviel Nachtleben. In der Folge setzte eine rege Fax- und E-Mail-Tätigkeit zwischen Kunsthaus und Louvre ein. Es vergingen Tage und Sitzungen bis zu jener Regierungssitzung, welche endlich dazu führte, dass man den Plan Mona Lisa für realistisch und durchführbar betrachtete. Noch ein, zwei Nächte schliefen die massgebenden Leute darüber, dann wurde zur Medienkonferenz geladen. Lorenz Camenisch musste am äussersten Rande Platz nehmen. Nichts von wichtigster Person. Das Wort wurde ihm erst am Ende der Medienorierntierung erteilt. Kein Wort von der Wette. Noch für Tage bildete diese Medienkonferenz, eine wie sie die Stadt noch nie erlebt hatte, Thema Nummer eins. Die Polizeistunde und die noch nicht getätigten Transfers des Eishockeyclubs waren nur zweit- und drittrangig. Aus aller Welt waren TV-Stationen anwesend und dazu Tausende gar von Journalisten. Gerüchte gingen um, der französische Staatschef persönlich überbringe das berühmteste Bild, dazu Geheimdienste und Sonderkommandos. Auch der Transport wurde streng geheim gehalten und ganze Strassenzüge zwischen Paris und Chur hermetisch abgeriegelt. Nur ein ganz kleiner Kreis an Personen wusste genau, wann die Mona Lisa in der Stadt eintraf. Eine Internetseite www.monalisa.ch wurde eingerichtet. Geld in Sicherheitsvorkehrungen um- und innerhalb des Kunsthauses gesteckt. Innert weniger Tage stand die Stadt weltweit im Mittelpunkt und geriet in ein buchstäbliches Mona Lisa-Fieber. Täglich berichteten die Tageszeitungen, Fernsehsendungen gabs und Fernsehen DRS schuf speziell für die Nachrichtensendung Zehn vor Zehn ein Mona Lisa-Signet. Nur Lorenz Camenisch, der Auslöser der Geschichte, wurde zur Seite geschoben. Er wurde von seiner Frau mit dem Hinweis auf den Propheten im eignen Land getröstet. Die SBB setzte einen Mona Lisa-Express kurzfristig auf den Fahrplan und die Post gab eine Sondermarke heraus. Dann war der grosse Tag gekommen: die kurze, aber lang erwartete Sensationsmeldung ging um die Welt: Mona Lisa ist in der Stadt! Selbstverständlich konnten nur diejenigen einen kurzen Blick auf das Gemälde werfen, welche zuvor über Internet die Eintrittskarte, unter Beilage eines Leumundszeugnisses, bestellt und gleich bezahlt hatten. Nach dem Besuch ging man dann in ein Restaurant zum Mona Lisa-Menü und trank dazu den Blauburgunder Leonardo a Coira. Bei Lorenz kehrte, nach viel Frustration, dank einer Therapie, die Freude am Ereignis zurück. Zudem durfte er für das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» ein viel beachtetes Interview geben, jedoch ohne auch nur ein Wort über die Wette. Ja, es lief alles glänzend bis zu dieser Faxmeldung: Lorenz rieb sich die Augen. Was Jacques ihm da in den frühen Morgenstunden, die ruhigste Zeit, übermittelte warf ihn in den Ledersessel, und nur ein Automatenkaffee konnte ihn wieder einigermassen auf die Beine stellen. Eine unglaubliche Nachricht: das Bild sei nicht das Original. Zwar eine rare Kopie, doch eben halt nur eine Kopie. Er hätte es ihm längst sagen sollen, doch die Sache habe blitzartig eine Eigendynamik entwickelt, so dass man nicht mehr die Wahrheit habe, sagen können. Er solle diese Meldung als das grosse und tiefe Geheimnis zwischen ihnen betrachten: der grösste Beweis ihrer Freundschaft. Ein Grund auch, weshalb er ihm zu dieser ruhigsten Zeit, wo er wohl alleine im Kunsthaus sei, die Nachricht übermittle. Verwirrt legte Lorenz das Blatt zur Seite und ging im Eiltempo auf die Toilette. Wie er nur kurze Zeit später wieder in seinem Büro war, erahnte er nicht, dass just in dieser kurzen Zeit, ein Sicherheitsbeamter das Blatt sah, es kopierte und unverzüglich an die Presseagentur im Rathaus weitergab. Innerhalb weniger Stunden verbreitete sich diese negative Nachricht in Windeseile über die ganze Welt. Die Stimmung kippte schlagartig ins Gegenteil. Schon am späteren Vormittag kamen keine Besucher mehr ins Kunsthaus. Kein SBB-Express mehr, keine Medienleute, einfach niemand wollte mehr bloss nur eine Kopie besichtigen. Plötzlich kehrte das normale Leben, wie vor Mona Lisa-Zeiten in die Stadt zurück. Erste Schadenersatzansprüche wurden geltend gemacht. Eigenhändig nahm Camenisch das Bild von der Wand und stellte es einfach so an die nun wieder offene Eingangspforte. Geschehe doch mit ihm was da wolle, sagte sich Lorenz tief deprimiert. Doch dann kam so unverhofft wie nur Stunden zuvor die Fax-Meldung nun dieses E-Mail direkt aus dem Louvre: Jacques setzte etwa hundert urgent darüber und schrieb in grossen Lettern und mit vielen Ausrufezeichen versehen: Ihr seid einer hinterhältigen und gerissenen Meldung des organisierten Verbrechens der Kunstwelt aufgesessen. Das Bild ist das Original! Bewacht es um Gottes Willen mit Mann und Maus! Ein Diebstahl: die grösste Katastrophe in der Kunstgeschichte! - Entschuldigung cher Lorenz, wie konntet ihr nur so naiv sein! - Ende des E-Mails. Kurze Zeit später fand man Kunsthaus-Direktor Lorenz Camenisch an der Eingangspforte ohnmächtig, kaltschweissgebadet am Boden liegend, mit beiden Armen krampfhaft Leonardo da Vincis Mona Lisa umklammernd. Domenic Buchli Kurzgeschichten des Churers Domenic Buchli sind in verschiedenen Medien publiziert und ausgezeichnet worden. |