Der Bürgerrat von Chur will zur Stärkung der Bürgergemeinde beitragen und hat deshalb eine Einbürgerungsaktion lanciert. Wer seit mindestens 25 Jahren seinen Wohnsitz in Chur hat, erhält ein freundliches Schreiben mit der Aufforderung, sich ohne grossen Papierkrieg einbürgern zu lassen. Da soll noch einer sagen, die Bürgergemeinden seien eine Fussnote der Geschichte und zur Auflösung bestimmt. Vielleicht mag das andernorts zutreffen, sicher nicht in Chur. Es ist noch nicht lange her, dass hier geborene BewohnerInnen italienischer Abstammung auf unwürdige Weise durch die Stimmberechtigten abgelehnt wurden.

 

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Stefan Bühler


Einkaufslustige

Und es ist auch nicht lange her, dass Katholiken, Versicherungsagenten und andere ehrliche Menschen, vor allem solche aus dem Ausland, schlechte Chancen für eine Aufnahme hatten.
Tempi passati: Man ist als Einwohner dieser Stadt ein gefragter zukünftiger Bürger. Moderne Mitgliederwerbung sagt man dem; der Bürgerrat tut
etwas, um die Zukunft der
Bürgergemeinde zu sichern. So neu ist das allerdings nicht. Auf die gleiche Idee sind schon die Vorväter gekommen, im Jahre 1852 nämlich, als die erste
Einbürgerungsaktion in Chur lief: "Ausnahmsweise wird während den nächsten sechs Monaten der Behörde von Rath und Gericht die Befugnis übertragen, diejenigen Einkaufslustigen, welche sich über die durch dieses Gesetz geforderten Requisiten ausweisen, von sich aus ins Bürgerrecht aufzunehmen", hiess der Beschluss. Die Aktion war erfolgreich, 30 neue Einbürgerungen gab es in der Folge, obwohl die Gebühr unverändert hoch war. Eine zweite Aktion 1870 brachte 66 Neuaufnahmen.
Und nun also im Jahre 2001 das Schreiben im Briefkasten: "Auf Ihr Gesuch und Ihre Rückmeldung freuen wir uns", schreiben der Churer Bürgermeister Rolf Stiffler und Ratsschreiber Peter Frey ausgerechnet mir, einem bislang so ungeliebten Felsberger Bürger. Einst tönte das ganz anders: Im Jahre 1843 wollte sich ganz Felsberg mit 508 Einwohnern in Chur einbürgern lassen, wohl Schutz suchend unter dem Eindruck der Felsstürze und der Gefahren des Rheins. Der Bürgerrat empfahl wohl die Aufnahme, konnte sich aber nicht durchsetzen. Nicht nur der ökonomische Ruin der Stadt wurde an die Wand gemalt, Simon Benedict, ein aktiver Churer Bürger, meinte gar: "500 unkultivierte Felsberger zu der schon vorhandenen ziemlich beträchtlichen Zahl dürftiger Bürger und Einwohner, welchen eigentliche Bildung abgeht, so wird es bald nur Bastarde geben, aber keine natürliche Descendenz echter Churer Bildung, kein reines Blut des regenerierten Churer Bürgertums."
"Bürger, hört die Signale", schreibt Bürgermeister Rolf Stiffler in einer Kolumne. Da kann man nicht mehr anders: Ich habe das Formular abgeschickt; ein unkultivierter Felsberger Bürger freut sich an der Aktion, auch wenn er das reine Churer Blut demnächst mit Felsberger durchmischen wird.
Stefan Bühler