Nichts ist mehr heilig, nicht einmal der 9. September. An diesem Tag beginnt sonst in Graubünden die Hochjagd, 5500 Jäger haben sich darauf vorbereitet und nicht nur sie: auch für die Gastwirte gilt, ihre Speisepläne umzustellen. So weit, so gut. Dieses Jahr werden aber liebgewonnene Gewohnheiten auf den Kopf gestellt. Die Jagd hat schon im Sommer begonnen. So wurden unter anderem ein Regierungsrat, ein Wolf im Bergell, ein Luchs in Bern sowie die übliche Anzahl Verkehrsdirektoren zum Abschuss freigegeben.

 

buehler.jpg (7132 Byte)
Stefan Bühler


Frei zum Aschuss

Der Wolf im Bergell, weil er 50 Schafen ans Fell gegangen ist, und der Regierungsrat, weil seine Gattin ins Fell, oder genauer, in Pelz gelegt wurde. Soll noch einer sagen, die Jagd sei nicht aufregend.
Das Halali begann für einmal in den Sommerwochen, wo die Gemüter bei 33 Grad im Schatten sowieso erhitzt sind. Der für die vorgezogene Bündner Politikerjagd zuständige Zürcher Bezirksanwalt schickte noch schnell das Dossier nach Chur, bevor er in die Ferien verreiste. Derweil das anvisierte Ziel selbst schon in den Ferien weilte und weder daran dachte, zurückzukehren noch zurückzutreten. Warum denn auch? Der Heimatschutz der Bündner Medien - die schon lange von Alieschs Anfütterungen wussten und schweigen mussten - ist im Jagdgesetz vorgesehen. Zwar nicht als eidgenössisches Jagdbanngebiet, immerhin aber als südostschweizerisches Politiker-Asyl. Das gilt natürlich nicht für Regierungsräte, die sich zu Unrecht einen akademischen Titel oder eine Briefkastenfirma schenken liessen. In solchen Fällen gelangt das ordentliche Prinzip der Hetzjagd zur Anwendung. Das Medienasyl ist nur für Intimfreundschaften geregelt. Dumm, wenn man als Bevorteilter dann übersieht, dass es ausserhalb des Kantons auch noch kritische Medien gibt.
Sicher ist, dass der Bergeller Wolf zum Abschuss freigegeben wird, weil er sich mit zu vielen Schafen angefüttert hat. Sicher ist auch, dass ein Unschuldiger nicht als Wolf im Schafspelz daherkommt, jedenfalls nicht in der Politik. Wie heisst doch die politische Agenda in diesem Jahr? Januar, Februar, Nerz, Athen - von Wolle jedenfalls ist keine Rede. Der auf die richtige Länge ausgemusterte Nerz einer kleinen pummeligen Griechin jedenfalls passt besser ins Umfeld von Clinton und in die Staatskarosse GR 1, wenn man sich von der Kantonspolizei herumchauffieren lässt. Zum eigenen Schutz wohlverstanden, denn Bündner Jäger treffen manchmal Kollegen, Kinderwagen und Traktoren. Verschont wurden bisher Frischverheiratete.
Ganz untergegangen ist ob der Aufregung eine andere Meldung. Dass sich nämlich die 55-jährige hessische Familienministerin nach 26 Jahren von ihrem zweiten Ehemann trennt und deshalb als Ministerin zurücktritt. Scheidung als Rücktrittsgrund, wie simpel! Würde man im Rahmen der Jagdbetriebsvorschriften für den Kanton Graubünden auch solche Massstäbe setzen, gäbe es nur noch mehr Probleme. Wenn doppelt so viele Ehen zusammenkommen wie politische Ämter, geht das mit dem Rücktritt nach jeder Scheidung rechnerisch nämlich nicht mehr auf. Dann schon lieber den finalen Rohrkrepierer - frei zum Abschuss auf freiwilliger Basis. Stefan Bühler