"Reis' Du ins Graubündnerland! Das ist das Athen der heutigen Gauner." Das mochte ja stimmen im Jahre 1782, als Friedrich Schillers "Die Räuber" auf die Bühne kam und diese Passage das Land Graubünden sehr erzürnte. Tempi passati. Heute steht die Existenz des Churer Gefängnisses auf dem Spiel, weil die Kunden ausbleiben. Zurzeit diskutiert eine Kommission, wie es weitergehen soll mit dem Sennhof mitten in der Altstadt. Wo früher die Kunden bei jeder Gelegenheit davonliefen, hat man heute ein anderes Problem: sie bleiben ganz einfach aus. Vorbei die Zeiten, als einheimische und auswärtige Räuber im Hof die Runden drehten und dabei gleichzeitig sitzen mussten.

 

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Stefan Bühler


Kein Athen der Gauner

Chur ohne Gefängnis, da kommt schon etwas Wehmut auf. Das Sennhofareal wurde vom Kanton zwar erst 1817 erworben, um eine Strafanstalt für vorerst 30 Häftlinge einzurichten, immerhin zeigte dieser Entscheid kurz nach dem Beitritt zur Eidgenossenschaft, dass auch die damalige Regierung durchaus in der Lage war, Akzente zu setzen. Vielleicht stand sie noch unter dem Eindruck des bekanntesten Gefangenen, der 1786 in Untervaz verhaftet worden war, dem Zigeuner Jacob Reinhardt, besser bekannt unter dem Namen Hannikel. Der war noch im Schelmenturm beim heutigen Postplatz inhaftiert, bis er durch ein Loch in der Mauer die Flucht ergreifen konnte.
Im Sennhof selbst verkehrte dann auch viel Prominenz. Der jüdische Medinzinstudent David Frankfurter etwa, der am 4. Februar 1936 in Davos den Führer der Landesgruppe Schweiz der Nazis, Wilhelm Gustloff, erschoss und dafür vom Kantonsgericht wegen Mordes zu 18 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.
In guter Erinnerung hatten die Insassen einen weiteren Prominenten, den Bestsellerautor Erich von Däniken, der im Februar 1970 vom Kantonsgericht Graubünden wegen Betruges zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Sein zweites Buch "Zurück zu den Sternen" hat er während der 452- tägigen Untersuchungshaft geschrieben. Gesiebte Luft kannte er schon von seiner Jugendzeit her, nicht, weil er und sein Freund im Jahre 1945 beim Spielen versehentlich die Schaffhauser Badeanstalt abgefackelt hatten, wohl aber seit seiner ersten Verurteilung im Jahre 1957 wegen Betruges. Ein Schuft, wer glaubt, Erich von Däniken würde heute einfach seine Leser betrügen, nur weil er so viel Unsinn behauptet. Im Sennhof war im Turm lange die Bibliothek untergebracht, wo der Autor sein erstes Buch mit einer Widmung an
die lieben Mithäftlinge versah. Anstelle dieser Bibliothek wurde ein Gebetsraum für Moslems eingerichtet.
Viele Insassen sitzen übrigens wegen ihrem Glauben in einer der 51 Zellen. Jene nämlich, die glauben, man könne auch alkoholisiert ungestraft Autofahren.
Für viel Aufsehen sorgte ein österreichischer Heiratsschwindler, der über zehn Jahre absitzen musste. Wegen Vielweiberei kommt man heute nicht mehr in den Sennhof, weder zur Strafe noch zur Erholung.
Vielleicht widerfährt dem städtischen Gefängnis das gleiche Schicksal wie jenem von Luzern: Dieses wurde zum Hotel umgestaltet.

Stefan Bühler