Kunstmuseum

Das unbekannte Gesicht des Alois Carigiet

Am 22. Juni wird im Bündner Kunstmuseum eine aussergewöhnliche Ausstellung zum 100. Geburtstag des Bündner Künstlers Alois Carigiet eröffnet. Gezeigt werden Werke aus der frühen Schaffenszeit bis 1950, und zwar ausschliesslich Originale. Rund 90 Prozent davon werden erstmals dem Publikum zugänglich gemacht.

Text: Walter Schmid

Alois Carigiet (1902-1985) wird vordergründig als Bündner Künstler bezeichnet, der seine Heimat, das Bündner Oberland, in idylle- und glücksstrotzenden Bildern wiedergegeben hat. Doch dieser Vorwurf wird spätestens dann widerlegt, wenn am 22. Juni das Bündner Kunstmuseum seine Türen öffnet und dem Publikum "das andere Gesicht" des Alois Carigiet präsentiert wird.

Über hundert Werke
Zwei Jahre lang hat der Museumsdirektor Beat Stutzer nach Werken aus dem frühen Schaffen des Künstlers Ausschau gehalten und ist vorwiegend bei Privatbesitzern fündig geworden. "Daraus hätte man", so Beat Stutzer, "gut und gerne zwei Ausstellungen machen können." Die getroffene Auswahl für die Geburtstagsausstellung beinhaltet über hundert Gemälde, Zeichnungen, Pastelle, Plakatentwürfe sowie originale Vorlagen zu Kinderbüchern. Mit ihnen wird zum einen der begnadete Grafiker gewürdigt, dessen Plakate zum weltweiten Ruf der Schweizer Werbegrafik wesentlich beigetragen haben. Zum anderen präsentiert die Ausstellung die frühen Werke des Malers und Zeichners, die im Unterschied zum späten Schaffen noch wenig bekannt sind. Die figurativen, expressiven und stimmungsvollen Landschaften, Tierdarstellungen, Stillleben und Genreszenen sind nicht nur Zeugnisse einer engen Beziehung zur Bergheimat. "Sie sind", so Museumsdirektor Stutzer, "zum Teil auch beklemmende Kommentare in einer schwierigen Zeit zwischen Idylle und latenter Bedrohung."
Die Ausstellung konzentriert sich ganz auf die Schaffenszeit von Carigiet bis zum Jahre 1950, als er den Weiler Platenga in Obersaxen verliess, um sich ein zweites Mal in Zürich niederzulassen. Die originalen Entwürfe für grafische Auftragsarbeiten treten dabei in einen spannenden Dialog mit den "freien" Gemälden und Zeichnungen.

Erfolgreicher Gestalter
Während der Zwanziger- und Dreissigerjahre arbeitete Alois Carigiet erfolgreich als Gestalter in Zürich. Er entwarf über hundert Plakate - darunter jenes für die "Landi" 1939 in Zürich -, Festdekorationen und Kostüme, zahllose Illustrationen für Zeitschriften und zeichnerische Kommentare zum aktuellen Zeitgeschehen. Daneben entstanden Schulwandbilder sowie Panneaux und Messedekorationen für die Schweizer Verkehrszentrale und viele Titelblätter
für den "Schweizer Spiegel". Für das legendäre "Cabaret
Cornichon", zu dessen Mitbegründer er zählte, gestaltete er Bühnenbilder, Kostüme und Requisiten.

Das "Wunder" von Platenga
Nach körperlichen und psychischen Strapazen zog sich Carigiet 1939 für ein paar Ferientage nach Trun zurück. Am 20. Mai wanderte er erstmals auf die Terrasse von Obersaxen. Der Anblick der Weite und Unberührtheit dieser Landschaft erweckte in ihm das Gefühl eines längst verlorenen, und nun wiedergefundenen Paradieses. Carigiet nannte dieses Erlebnis "das Wunder von Platenga". Er fasste in diesem Augenblick den Entschluss, sein Leben von Grund auf umzugestalten. Er ging das Wagnis eines "freien" Künstlerdaseins ein, um sich fortan ganz der Malerei zu widmen. In Platenga legte er sich den Grundstein zu seinem künstlerischen Schaffen, das sich in einer kaum übersehbaren Reihe von Bleistiftzeichnungen, aquarellierten Zeichnungen, Lithografien und Ölgemälden ausdrückt. Seine Gemälde der Vierzigerjahre bauen auf Zeichnungen auf. Die Gegenstände werden mit klarer Linienkontur umrissen. Inhaltlich berichtet der grösste Teil der frühen Bilder vom einträglichen Leben in den Bergen, vom Mutterglück und vom Tagewerk einer zwar harten, aber harmonischen Existenz.
1945 erschien das von Selina Chönz verfasste und von Carigiet illustrierte Kinderbuch "Schellen-Ursli", das zum durchschlagenden Erfolg und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Die komplette Serie aller Bilder zu "Schellen-Ursli" sind als Originalentwürfe in der Ausstellung zu sehen, was, so Beat Stutzer, eine eigentliche Sensation sei.

Das Buch zur Ausstellung
Unter dem Titel "Alois Carigiet - Die frühen Jahre" erscheint zur Ausstellung im Bündner Kunstmuseum eine umfassende Monografie mit ausführlichen Werkbetrachtungen. Die reichbebilderte Publikation stellt nicht nur das Leben und Werk Alois Carigiets vor, sondern interpretiert sie neu und zeigt manche bislang nicht beachtete Aspekte auf. Der Autor, Museumsdirektor Beat Stutzer, beschäftigt sich auch mit der Rezeption des Künstlers zwischen Heimatkunst und Avantgarde und mit Carigiets Stellenwert in der damaligen Schweizer Kunst. Das Buch widmet sich eingehend dem künstlerisch besonders spannenden und bedeutenden frühen Schaffen.

Jeden Donnerstag Führungen
Die Ausstellung im Bündner Kunstmuseum öffnet am 22. Juni und dauert bis 15. September 2002. Jeden Donnerstag um 19.00 Uhr findet eine öffentliche Führung statt. Geschlossene Führungen und Veranstaltungen für Gruppen, Firmen, Vereine, Schulen usw. werden auf Anfrage veranstaltet (Tel. 081 257 28 68). Weitere Informationen sind erhältlich auf www.buendner-kunstmuseum.ch