Streifzug zwischen den Churer Auen
Die Flurnamen zeugen davon: Hier mäanderte einst der junge Alpenrhein
durch eine verästelte Auenlandschaft, bis im vorletzten Jahrhundert
unsere Vorfahren dem Gewässer mit Wuhrbauten sein heutiges Bett aufzwangen.
Die gewonnene Landwirtschaftsfläche musste im Verlauf der letzten
80 Jahre zu einem grossen Teil der sich ausdehnenden Stadt weichen. Ein
Streifen zwischen Siedlungsgebiet und Rhein ist geblieben: das Naherholungsgebiet
zwischen der Oberen und Unteren Au.
Text: Walter Schmid
Gebannt blickt der passionierte Jäger Markus Wullschleger durch
sein Fernglas zu den schroffen Felsbändern hinüber. Zwischen
ihm und dem immensen Kalkklotz Calanda fliesst der Rhein. Das milchige
Schmelzwasser hat ihn zu einem reissenden Fluss gemacht. Markus, der regelmässig
von der Rheinpromenade aus den Calanda "abspiegelt", zeigt zu
den schmalen Grasbändern. "Dort, vier Gämsen". Dass
die Tiere - die allgemein mit Hochgebirge, Geröllhalden und Felsen
assoziiert werden - in Niederungen von wenig mehr als 600 Meter über
Meer beobachtet werden können, sei nichts Aussergewöhnliches,
bestätigt der oberste Bündner Jäger, Jagdinspektor Georg
Brosi. "Die Kolonie der Calanda-Waldgämsen besteht aus einigen
Dutzend Tieren, die hier das ganze Jahr angetroffen werden." Doch
nicht genug damit: In den Wintermonaten verlassen 50 bis 60 Steinböcke
ihre Hochgebirgseinstände am Calanda und verweilen oft tagelang im
militärischen Schiessgände über der Talsohle. Eingefleischte
Wild-beobachter entlang der Rheinpromenade kennen auch das "Schlüsselloch".
In dieser schützenden Felsnische kapp über dem Fluss haust seit
Jahren ein Uhu-Paar und zieht hier seinen Nachwuchs auf.
Viel begangene Promenade
Die rund fünf Kilometer lange Churer Rheinpromenade zwischen den
Gemeindegebieten von Domat/Ems und Haldenstein ist der Gegenpol zum Naherholungsgebiet
Fürstenwald. Daran mag auch die mancherorts nahe am Rheinwäldchen
vorbeiführende Autobahn nichts zu
ändern. Die Motorengeräusche werden durch dichtes Unterholz
und hohe Bäume weitgehend "geschluckt". Dahinter begegnen
sich Spaziergänger, Hündeler und Jogger, umgarnt vom monotonen
Grundgeräusch des fliessenden Gewässers. Aufgrund des Waldgesetzes
darf die Rheinpromenade auch von Velofahrern benützt werden. "Die
vielseitige Benützung des Weges beweisst seine Wichtigkeit",
erklärt Stadtrat Roland Tremp. Aufgrund des städtischen Leitbildes
sei man daran, diesen Weg auch in das Sportstätte-Konzept auf der
Oberen Au zu integrieren.
Eine kritische Wegstelle befindet sich beim Kieswerk, wo die Promenade
zum Schutz der Passanten auf kurzer Strecke durch eine Röhre führt.
Darüber saust dann und wann der Seilbagger der Kieswerk Calanda AG
in den Rhein und entnimmt dem Fluss das Rohmaterial, das im Baugewerbe
vielseitig Verwendung findet: Geröll, Kies, Sand und Feinteile. Das
50-jährige Werk der "Calanda Gruppe" stehe im Bezug auf
das Naherholungsgebiet schon irgendwie schräg in der Landschaft,
meint der kaufmännische Direktor, Linus Grünenfelder. "Weil
man die ganze Anlage aber nicht einfach wegtragen kann, haben wir der
Stadt bereits signalisiert, dass wir für den Bau einer grosszügeriger
Untertunnelung des Weges bereit sind."
Rheinstrände
Das bewilligte Schotterkontingent aus dem Rhein beträgt pro Jahr
30 000 Kubikmeter. "Geborgen werden jedoch nur gegen 14 000",
erklärt der technische Direktor Walter Capatt. Das ist der Stadt
auch recht. Denn ihr obliegt der oft aufwändige Unterhalt des Rheins,
wo er durch Stadtgebiet fliesst. Auf der ganzen Strecke frisst sich nämlich
das Wasser in die Rheinsohle. Dieser Erosion, die Auswirkungen auf Brückenpfeiler,
Wuhrbauten und Grundwasser haben kann, wirkt man entgegen, indem mit dem
Bau von Blockrampen die Sohle auf dem heutigen Niveau beibehalten wird.
Während die Bauequipen inmitten des Rheins schwitzen, kühlen
sich andere an seinen Gestaden ab. Rhein-Freaks wissen nämlich, dass
Chur sogar Sandstrände zu bieten hat, auf denen man sich in der Sonne
räkeln kann, wo Kinder an sicherer Stelle und von den Eltern behütet
ihren Spieltrieben nachgehen oder wo an lauen Sommerabenden die Servelat
am offenen Feuer gebrätelt wird. An einigen strömungsfreien
Stellen kann man sich sogar einer kurzen Ganzkörperabkühlung
hingeben, was allerdings mit grösster Vorsicht zu tun ist.
Vollbad und Filzbälle
Weil Fliessgewässer allgemein Gefahren in sich bergen, ist es ratsam,
das Badebedürfnis im Hallen- und Freibad Obere Au zu stillen. Die
in den siebziger und frühen achtziger Jahren entstandene städtische
Anlage mit der riesigen Liegewiese, den Wasser-Rutschbahnen, den Schwimmer-
und Nichtschwimmerbecken und dem Planschbecken für Kinder stösst
an heissen Sommertagen beinahe an seine Kapazitätsgrenzen. Wer dem
Rummel ausweichen und ungestört Länge um Länge abkrawlen
will, findet jeden Dienstag und Donnerstag ab 7.00 Uhr morgens Gelegenheit
dazu. Geöffnet ist das Freibad an allen anderen Tagen von 9.00 bis
20.30 Uhr, Samstag und Sonntag bis 19.00 Uhr. Untergetaucht werden kann
auch im Hallenbad, von wo aus man ins Warmwasser-Erlebnisbad "Aquamarin"
gelangt. Die Sportanlage Obere Au bietet zudem Sauna, Solarium Massage-
und Kraftraum und im Restaurant "Moby Dick", mit der grossen
Terrasse, kann man sich - ob im Badeanzug oder im Smoke - mit leichter
Sommerkost, kühlenden Getränken und erfrischendem Softeis stärken.
Stärkung bietet natürlich auch das Restaurant "Tennis",
zuunterst an der Felsenaustrasse. Es ist das Herzstück der Tennisanlage
mit zehn offenen und zwei Hallenplätzen, wo seit 1978 - als die Tennisplätze
bei der Quader aufgehoben wurden - die Filzbälle hin und her geschossen
werden. Unter den Fittichen der Lehrer eifern hier Jugendliche ChurerInnen
den Williams-Sisters oder Roger Federer nach und die älteren Semester
tuns einfach zur sportlichen Ertüchtigung. Der gesellschaftliche
Teil spielt sich natürlich im Restaurant und auf der Sonnenterrasse
ab, wobei selbstverständlich nicht nur Racket-BesitzerInnen willkommen
sind. Jeden Freitagabend, schönes Wetter vorausgesetzt, legt "Tennis"-Wirt
Armin Stoffel Grillspezialitäten auf und jeden Mittag bietet er jeweils
zwei auf Sommer getrimmte Menüs an. Geöffnet ist das "Tennis"
täglich von 8.30 bis 23.30 Uhr, Samstag und Sonntag bis 21.00 Uhr.
Dauergäste
Churerinnen und Churer, die beim samstäglichen Einkauf die Kaffeebohnen
vergessen haben, holen das eben am Sonntagmorgen im Laden des "Camp
Au" nach. Frisches Brot, frische Felsberger Eier und überhaupt
alle wichtigsten Lebensmittel und Gebrauchsartikel sind hier täglich
von 8.00 bis 22.00 Uhr zu haben. In erster Linie profitieren davon die
Campingplatz-Gäste, die vom Pächterpaar Verena und Heinrich
Christe seit 1997 betreut werden. Das "Hotel am Churer Rheinufer"
wählen Leute aus allen Herren Ländern als Standort und Ausgangspunkt
für Exkursionen durch Graubünden. Neben den Kurzzeitgästen
mit herkömmlichen Zelten beherbergt das "Camp Au" eine
ganze Anzahl Dauergäste. "Etwa 65 Plätze sind fest belegt",
erklärt Heinrich Christe, "und im Winter kommen noch rund dreissig
dazu." Selbstverständlich seien das alles eingefleischte Camper,
die aber deshalb auf einen gewissen Luxus nicht verzichten wollen. Entsprechend
sind ihre fest installierten Wohnwagen ausstaffiert, die meisten mit einem
angebauten Wohntrakt versehen, wofür allerdings bauliche Vorschriften
eingehalten werden müssen. Wenn nicht selber gekocht wird, lässt
man sich im öffentlichen Restaurant mit Terrasse der Christes bedienen.
Frühstück gibts ab acht Uhr und zum Mittag- und Nachtessen kann
à la carte von der Bratwurst über Rindshuftsteak bis zum Fondue
gewählt werden.
Leidenschaftliche Churer Camper
"Früher habe ich für 2000 Franken Monatszins in einer Stadtwohnung
gelebt und diese fast nur zum Schlafen aufgesucht", sagt Wisy. Er
hat sich vor 15 Jahren im "Camp Au" häuslich niedergelassen
und ist einer der 18 ChurerInnen, die es ihm gleich getan haben. Bereut
hat Wisy seinen Umzug "in die Wildnis" noch keine Sekunde. "Hier
lebe ich mitten in der Natur mit Gleichgesinnten, man lernt fast täglich
neue Leute kennen, schliesst Freundschaften, hilft sich gegenseitig und
geniesst zusammen die Abende,
die nicht selten in gemeinsamen Grillfesten gipfeln." Besuch bekommt
er regelmässig auch von Freunden, zum Beispiel von Armin, mit dem
er Velotouren oder gemeinsame Tauchferien verbringt. "Wisy",
so bringt Armin seinen Freund auf einen Punkt, "ist eben einer für
'verdussen'". Doch drinnen hats Wisy auch gemütlich: isolierter
Vorbau am Wohnwagen, Ölheizung, Mikrowelle, Gas-Kochherd, Kühlschrank,
Fernsehgerät. Neben seinem "Grundstück" steht das
Haus der Manzanells. "Es ist ihr Stützpunkt, den sie nur den
Winter durch behausen", weiss Wisy zu berichten. Den Sommer durch
seien sie irgendwo in griechischen Gewässern mit ihrem Katamaran
und Gästen unterwegs.
Umgekehrt macht es Olga Grossmann, die am 19. Juni 2002 zusammen mit Kindern,
Kindeskindern und Urenkeln ihren 90. Geburtstag im "Camp Au"
feierte. Seit 14 Jahren zieht sie jeweils Ende Mai aus ihrer Churer Altstadtwohnung
und verbringt ein rundes halbes Jahr im ausgebauten "Wagen"
auf dem Campingplatz. "Ich sehne mich jeden Frühling nach dem
Leben hier unten und freu mich wie verrückt auf das Zigeunerleben",
schwärmt die vitale Seniorin und doppelt nach: "Campieren ist
das Schönste, was es gibt!" Die Natur sei es, die frische Luft
und die Leute rundherum seien einfach wunderbar. Man helfe sich hier gegenseitig
viel mehr, als in einem gewöhnlichen Wohnquartier. "Mein Doktor
hat schon recht", meint Olga Grossmann überzeugt, "wenn
er jeden Frühling sagt, ich solle doch möglichst schnell nach
Camp Au gehen."
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