Vom Rheinquartier her betrachtet sieht er aus wie ein ruhendes Mammut
- der Berg, der direkt über der Stadt "Pizoggel" heisst und mit den "Spundisköpfen"
seinen höchsten Punkt auf Churer Gebiet erreicht. Er ist ein Sicherheitsfaktor
für die Stadt, bietet Erholungsraum für die Bevölkerung, ist gleichzeitig
rau, oft unberechenbar und birgt Besonderheiten.
Text und Bild: Walter Schmid
Sein Gegenüber, der Calanda, ist ein massiger Kalkklotz. Er, der "Buckel",
der vom Pizoggel bis zu den Spundisköpfen reicht, ist hingegen eine aus
tonig-kalkigem Bündner Schiefer bestehende Erhebung, die auf der Seite
des Churer Rheintals einen sensiblen Charakter aufweist. Den Beweis dazu
hat der eigentliche Hausberg von Chur in der Vergangenheit mehrmals erbracht.
Besonders an der Westseite liess er sich öfters wortwörtlich gehen, ergoss
Teile seiner erodierenden Flanke über die Trist, die Geissweid und Purchera,
die als riesige und fruchtbare Schuttkegel liegen geblieben sind und die
Existenzgrundlage für verschiedene landwirtschaftliche Betriebe bilden.
Direkt über der Stadt, zwischen Rosenhügel und Welschdörfli, ist der steile
Abhang seit Jahrtausenden stabil. Das beweisen nicht nur ausgegrabene
Reste mehrerer urgeschichtlicher Dörfer, die auf den Geburtsort von Chur
hindeuten. Im Schutz des Berges liessen sich hier im Jahre 15 vor Christus
auch die Römer nieder und entwickelten bis zu ihrem "Abmarsch" etwa 400
Jahre später ein kleinstädtisches Leben.
Grossangelegte Sicherung
In seinem labilen westlichen Bereich hat der Berg auch in jüngerer Zeit
zwar einige Male versucht Ungemach zu bringen. Aber die "Fesseln", die
ihm angelegt worden sind, haben schlimmere Murgänge durch das Wassertobel
und das Valpargera verhindert. Verantwortlich dafür ist die Forst- und
Alpverwaltung der Stadt Chur, die 1987 das "Waldbauprojekt Schwarzwald"
in Angriff genommen hat. Mit dem Bau des Schwarzwaldweges vom "Städeli",
dem Pizoggel unterhalb des Känzeli entlang, zum Wassertobel (das bis zur
Trist hinunterreicht), wurde die Basiserschliessung des Waldes ergänzt.
"Eine absolute Notwendigkeit, um den Wald überhaupt pflegen zu können",
erklärt Urs Crotta, Chef des städtischen Forstamtes. Über das Wegnetz
wurde es möglich, die aus dem letzten Jahrhundert stammenden und kaum
unterhaltenen Entwässerungskanäle im steilen Gelände unterhalb der Spundisköpfe
zu erneuern und gleichzeitig im grossen Ausmass die Hänge mit neuen Entwässerungen
zu sichern. "Regenwasser wird dadurch weitgehend am Eindringen in das
poröse Schiefergestein gehindert und Hangrutschungen im grossen Ausmass
unterbunden", so der städtische Oberförster. Mit installierten Messsystemen
zur Überwachung des Geländes und durch den Bau unzähliger Sperren und
Schwellen in den schroffen und steilen Tobeln ist die Gefahr von Rüfen
bis zur Talsohle weitgehend gebannt. Dass das so bleibt bedingt allerdings
regelmässige Kontrollen und Unterhaltsarbeiten durch Mitarbeiter des Forstamtes.
Bannwald zum Schutz der Stadt
Die Forstleute sind eigentlich fast das ganze Jahr durch am Pizoggel engagiert
und sorgen dafür, dass der Wald seinen eigentlichen Zweck erfüllt, nämlich
die am Fusse des Berges liegenden Stadtquartiere und Verkehrsverbindungen
zu schützen. Ein diesbezügliches Dekret geht auf das Jahr 1539 zurück,
als die Stadt die Abhänge des Pizoggels zu Bannwäldern erklärte und verfügte,
dass darin niemand Leseholz hauen dürfe. Die forstbaulichen Arbeiten der
letzten Jahrzehnte sind für das Laienauge an verschiedenen Stellen am
Pizoggel, zwischen der Kälberweide und dem Känzeli, erkennbar. Die "kahlen
Flecken" sind nicht etwa Spuren, die auf irgendwelche Krankheiten an Laub-
und Nadelbäumen zurückzuführen sind. "Hier wird Waldverjüngung und Aufforstung
betrieben", erklärt Crotta, "mit dem Ziel, einen ungleichaltrigen und
stufigen Wald zu erhalten, der seine Aufgabe als Schutzwald gegen Lawinen,
Rüfen und Steinschlag erfüllen kann."
"Säuerling macht Hunger"
Wo hoch über der Trist auf 120 Metern der Forstweg endet, liegt das Maiensäss
"Schwarzwald", eine Oase inmitten rauschender Tannen. Für Madlen und Albi
Knaus ist dieser geschützte grüne Fleck längst zur zweiten Heimat geworden.
Vor etwa 50 Jahren habe sein Vater die im Jahre 1812 erbaute Hütte von
der Bürgergemeinde Chur pachten können, erklärt Albi Knaus. "Als unsere
Kinder noch klein waren, war das unser ständiges Familien-Sommerdomizil,
jetzt bin ich mindestens einmal pro Woche hier, im Sommer fast ununterbrochen
und während der Jagdzeit sowieso", schwärmt der passionierte Jäger Albi
Knaus. Die jetzige Gemütlichkeit im Maiensäss hatte allerdings ihren Preis.
"Sämtliches Baumaterial für den Ausbau der Hütte, inklusive schwere SBB-Schwellen,
haben wir vom Känzeli her über den schmalen, rund eineinhalb Kilometer
langen Weg, hierher gebuckelt", erinnert sich Albi Knaus. Seit der Schwarzwaldweg
besteht und er diesen mit forstamtlicher Bewilligung befahren darf, ist
die Mühsal vergessen. Unter dem "Reich der Knaus's" zweigt der schmale
Weg zur Sauerquelle ab. Der rund 10- minütige Fussmarsch ist nichts für
TurnschuhgängerInnen, geschweige denn für Schwindlige. 1994 wurde der
von einem Murgang zerstörte Pfad in das gfürchige Tobel von der Forstgruppe
Chur-Obertor wieder begehbar gemacht und die Quelle neu gefasst. Der vom
Sauerwasser rostrot gefärbte Abhang verrät den Standort des kleinen Brunnens
und im "Quellbuch" ist nachzulesen, wer in letzter Zeit vom Wässerchen
- das nach langer Reise durch das Mineralhaltige Gestein an die Oberfläche
sprudelt - getrunken hat. Davon bekomme man einen unheimlichen Appetit,
weiss der "Sheriff von Juchs", Michael Waldburger, zu berichten. Er arbeitete
einst als Akkordant beim Forstamt Chur. "Während der strengen Waldarbeit
haben wir bei der Quelle oft Rast gemacht und nach ein paar Schlücken
des Säuerlings hat der Magen jeweils richtig zu knurren begonnen." In
Juchs, das von der Sauerquelle auf beschwerlichem Pfad zu erreichen ist,
sind Michael Waldburger und seine Frau Anna längst heimisch.
Vom Richtplatz zur Parkanlage
Seit 1963 betreiben die Waldburgers im von der Bürgergemeinde Chur gepachteten
Maiensäss das vielgeliebte Restaurant Juchs, wo sich Wanderer und BikerInnen
auf knapp 1400 m ü. M. von den zurückgelegten Wegstrecken erholen. Für
Letztere ist die Fahrt hinauf zum Maiensäss an der westlichen Grenze des
Stadtterritoriums eine echte Herausforderung, die nach der Verköstigungsrast
mit einer rasanten Rückfahrt über die Forststrasse belohnt wird. Vorbei
an der Abzweigung hinauf nach Schönegg (auch das ein gepachtetes Maiensäss
im Besitz der Bürgergemeinde Chur), erreicht man schliesslich die Nähe
der Talsohle beim Kalkofen oberhalb Planggis. Ab 1834 war hier der Richtplatz
von Chur, der danach allerdings nur noch selten benutzt wurde. Die Verlegung
in die Abgeschiedenheit wird als Wechsel vom Ritual des Strafschauspiels
zur diskreteren und zunehmend subtilen Züchtigung bezeichnet. Das war
zuvor anders, als der Scharfrichter seine dunkle Arbeit noch am Fusse
des Pizoggels, auf dem Rosenhügel, verrichtete. 1789 zum Beispiel war
Franz Michel Natter vor dem Rathaus in Chur dem Scharfrichter übergeben
"und von demselben gebunden und durch die obere Reichsstras zur gewöhnlichen
Richtstätte (auf den Rosenhügel) geführt, alswo er entblösst und durch
das Schwert vom Leben zum Tod befördert werden soll - nach diesem soll
sein Haupt auf den Galgen genagelt, und sein Leib zur schaudernden Warnung
für jeden Bösewicht auf das Rad felochten, und alda gelassen werden".
Bis dem Rosenhügel sein grausames Image genommen wurde, dauerte es bis
1848. Auf Initiative des Botanikers Professor Alexander Moritzi wurde
der Galgenhügel in eine Parkanlage umgewandelt, die seither durch das
städtische Gartenbauamt gepflegt wird. Hinauf auf den Hügel führen idyllisch
angelegte Wege, gesäumt von Ruhebänken, und wo einst der Galgen stand
liegt heute ein künstlicher Weiher, in dem Goldfische und Bammeli ihre
Runden drehen.
"Unendliches" Wegnetz
Beim Restaurant Rosenhügel liegt der Ausgangspunkt für Wanderungen durch
das gesamte Pizoggel-Gebiet bis hinauf zu den Spundisköpfen, nach Schönegg
und Juchs. Diesem Umstand wurde schon 1885 gehuldigt. In einem Traktat
empfahl damals ein Doktor Killias seinen Ärztekollegen Chur als Übergangsstation
für "Winterkuranten" aus dem Hochgebirge zu proklamieren. Chur besitze
ein ausgedehntes Netz ebener oder sanft ansteigender, vollkommen staubfreier
Pfade in den schön bestandenen Waldungen der nächsten Umgebung. Jedermann
bekannt sei die windstille Lage der Waldwege im Gebiet des Pizoggels.
Mit Sicherheit waren diese damals aber nicht in so gehfreundlichem Zustand
wie heute. Wie für die Waldpflege sorgen auch dafür die Mannen der Forst-
und Alpverwaltung der Stadt Chur. Sie beschildern und unterhalten nicht
nur die offiziellen Wanderwege, sondern auch die steilen und beschwerlichen
bis hinauf nach Brambrüesch führenden Kehrpfade. Hoch über ihnen schwebt
seit 1957 die Brambrüeschbahn. Mit ihr lässt sich heute der Pizoggel bequem
und schnell erklimmen, um von oben her den Churer Hausberg genussreich
zu durchwandern. Doch aufgepasst: Damit man sich im Ungetüm nicht verheddert,
ist es ratsam, die Anweisungen des Forstamtes zu beachten. Regelmässig
wird der Zustand und die Begehbarkeit der verschiedenen Wanderwege im
städtischen Amtsblatt publiziert. So sind - aktuell - noch bis Ende Oktober
die Bergwege Brambrüesch über die Nesselböden nach Juchs und von Schönegg
nach Juchs gesperrt - Forstequipen sind in einem Grosseinsatz daran, das
"Fell des Mammuts" mit Sägen, Äxten und temporären Seilbahnen zu pflegen.
zurück |