Vorbei die Zeiten, in denen Karl Grossmann den Jugendmarsch
kostenlos durch den Saal des Drei Könige schmetterte. Früher
wurde die Urheberschaft als Geheimnis gepflegt, heute als neue Einnahmequelle.
Eigentlich eine gute Gelegenheit, die Guggenmusiken ganz zu verbieten.
Oder mindestens eine Vorprüfung zu verlangen. Wer über
kein ausreichendes Repertoire verfügt, wird mit der Verbannung
an die Emser Fasnacht bestraft. Besonders schwere Fälle müssen
einer Sitzung des Gemeinderates beiwohnen oder alternativ 12 Stunden
Radio Grischa hören.
Die Churer liessen sich trotz Verbot nie davon abhalten, mit Spiel,
Tanz und Maskentreiben zu feiern, schon vor dem 19. Jahrhundert,
als dies noch verboten war. Ein eher derber Zwischenfall ereignete
sich im Jahre 1639, als während der Fasnacht im Staubigen Hütli
in der Poststrasse der Kopf von Jörg Jenatsch gespalten wurde.
Sonst war der Schabernack meist harmloser. Ausser im Jahre 1799,
als der Churer Maskenzug im ganzen Land für Empörung und
Unwillen sorgte. Da wurden einige als Franzosen verkleidete Teilnehmer
symbolisch geprügelt, einen mitgeführten Freiheitsbaum
schmiss man kurzerhand in die Plessur. Wie die Geschichte weiterging,
ist bekannt: Napoleon war darob sehr erzürnt, zitierte eine
Bündner Gesandtschaft 1803 nach Paris und diktierte dieser
eine neue Verfassung. Da rechtfertigt es sich selbstredend, dass
wir die 200-Jahr-Feier nach Zürich verlegen, genau so wie die
WEF-Demos und andere humorlose Angelegenheiten.
Noch einmal sorgte die Churer Fasnacht für Schlagzeilen in
der internationalen Presse, als nämlich der hiesige Bankverein
statt Altpapier aktuelle Kontoauszüge für die Schnitzelkanone
am Umzug zur Verfügung stellte und damit eine frühe Interpretation
des Bankgeheimnisses nach dem Geschmack der EU lieferte.
Einst und heute hatte die Stadtpolizei alle Hände voll zu tun,
um den Auswüchsen zu begegnen. Wenn heute ein schnauzbärtiger
Stadtpolizist die Verkehrsteilnehmer am Obertor tanzen lässt,
heisst das nicht, dass die Fastnacht begonnen hat. Churer Polizisten
sind das ganze Jahr verkleidet. Früher erkannte man sie an
der stattlichen Statur, und man durfte sie noch Tschugger nennen.
So ein bäumiger Stadtpolizist ertappte eine Gesellschaft lange
nach der Polizeistunde in einer Wirtschaft. Statt jeden Einzelnen
zu büssen, schlug er vor, dass man sich auch als Verein konstituieren
könne, das würde dann nur eine bescheidene Globalbusse
absetzen. Sofort gründete man den Männergesangsverein
«Jericho» und begoss das Ereignis mit der Obrigkeit,
die es damit auch einfacher hatte mit der Schreibarbeit. Die Idee
der Sammelbusse stammt also von einem Churer Polizisten.
Klar ist jedenfalls, dass die Churer Fasnacht weder Napoleon, Jenatsch
oder sonst jemanden kalt lässt, der es nicht schon ist.
Stefan
Bühler
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