Früher war Klatsch eine ernsthafte Sache, heute wird er durch das Fernsehen leider abgewürgt. Zumindest in seiner klassischen Form. Es gibt spezielle Sendungen, da outen sich die die Gäste bis zum Abwinken, breiten ihr Privatleben aus und kriegen dafür ein Honorar. So was macht natürlich jeden klassischen Klatsch kaputt. Richtiger Klatsch lebt von der Unsicherheit, was nun wirklich wahr ist, und von der Verfälschung beim Weitersagen. Dabei klatscht man ja nicht über jemanden, der erfolgreich, glücklich und erst noch gesund ist. Nur die Fehler und das Missgeschick anderer geben etwas her und das funktioniert dann auch nur, wenn der Beklatschte nicht anwesend ist.

buehler.jpg (7132 Byte)
Stefan Bühler


Klatschspalte

Bekannt wird man heutzutage nicht durch Können, man muss schon dafür sorgen, dass über einen geredet wird. Die Funktion des Klatschkolumnisten fehlt leider bei uns, verlegerische Ersatzhandlungen erweisen sich meist als untauglich. In einem Jahr des Wahlkampfes ist es für Politiker besonders wichtig ins Gerede zu kommen. Den wenigsten ist es in die Ehe gegeben. Nicht alle haben eine Lea zu Hause, deren untrüglicher Instinkt für peinliche Auftritte auch einem politisch Toten noch etwas Leben einhaucht. Wer konnte schon wissen, dass mit dem vom Gatten vorausgesagten Anschlag in Davos die Bombenidee der eigenen Gattin gemeint war? Auf einem garantiert pelzfreien Kleidungsstück – ein T-Shirt mit Schweizerkreuz – befanden sich auf dem Gang zur Illustrierten mehr Promi-Fingerabdrücke als im Polizeiarchiv von Fideris. So beginnt mit Klatsch, und man fragt sich unwillkürlich, was diese Leuchte soll im Vaterland. Nach diesem Muster sind die Chroniken der angekündigten Tode eben gestrickt. Das gilt auch für die romanische Quotidiana, deren Totengräber jetzt wenigstens bekannt sind. Deren gibt es gemäss der jüngsten Klatschspalte viele, einzig die 89 zahlenden Abonnenten aus dem Engadin kann man davon ausnehmen.
Unbedingt zu empfehlen ist im Wahljahr für alle Kandidaten das Buch von Michael Graeter, dem bekanntesten Klatschkolumnisten Deutschlands. In seinem Lexikon des Klatsches stellt er fest, dass das lustvolle Gerede, meist über Abwesende und mit negativer
Tönung, grammatisch gesehen männlichen Geschlechts ist – der Klatsch. Obwohl doch der Begriff eindeutig zur femininen Wörterfamilie gehört: die Liebe, die Hiebe, die Intrige, die Sünde, die Mätresse, die Schamhaftigkeit, die Bettdecke, die Kleider und die Kerle. Es gibt keine Klatschkrise, wir erfahren alles über Michelle Hunziker, dem schönsten Po Italiens, über den Bohrer, den kein Schweizer mehr halten konnte, bis zum Melser Joe Ackermann, der demnächst versuchen muss, als exzellenter Sänger die Gerichte mit einer Verdi-Arie günstig zu stimmen. Sonst könnte es ihm noch blühen, dass er den Tresor bei der Deutschen Bank ganz mit seinem Tenor ersetzen muss.
Zurück zu Graeter: «Klatschgeschichten sind die Kaviar-Kanapees des Wissens, und bekanntlich ist Wissen Macht.» Nichts wissen macht auch nichts, sagen sich viele, und das ist falsch. Das richtige Wort zum falschen Zeitpunkt birgt Zündstoff, deshalb brauchen wir den Klatsch. Er ist der soziale Klebstoff, ein unsichtbares Bindeglied der Menschheit, so überlebenswichtig wie das Atmen. Und unentbehrlich vor Wahlen. Und Graeter stellt richtig fest: «Es schmerzt, wenn keiner mehr mit einem klatscht. Aber es ist tödlich, wenn keiner mehr über einen klatscht.

Stefan Bühler

 

zurück