Dabei ist es gerade die Erfahrung, von der andere
lernen könnten. Wer heute Wahlkampf betreibt, müsste unbedingt
erfahrene Wahlkampfbeobachter zu Rate ziehen. Dazu ein Beispiel:
Es bleibt doch unvergessen, wie einst der Rektor der Bündner
Kantonsschule für die Demokraten in den Regierungsratswahlkampf
zog – mit dem unnachahmlichen Slogan «Tü –
Ta – To». Das war 1962 und sollte heissen «tüchtig,
tatkräftig, tolerant». Gewählt wurde er zwar nicht,
die Erfahrung aber bleibt unbezahlbar. Vermutlich deshalb wirbt
die Nachfolgepartei der damaligen Demokraten heute nicht mehr mit
dem Ausdruck tolerant, weil er mehr dem Untergang als dem Erfolg
diente.
Aber eben, was nützen solche Erfahrungen, wenn man sie nicht
weitergeben kann? Oder noch schlimmer: wenn man genug davon gesammelt
hat und zu alt ist, um sie auszunutzen? Dabei könnte man ja
immer dazulernen, ob man nun Pfarrer oder Lehrer ist. Ein Pfarrer
lernte früher, wie man beerdigt und einäschert. Seit die
68er-Generation und die ersten Grünen ins Alter kommen, muss
er sich zusätzlich mit der fachmännischen Kompostierung
befassen. Und die Lehrer lernen frühenglisch, wie immer das
auch klingen mag.
Zurück zum Blick nach vorne. Der Geburtstag an sich wäre
ja nicht das Schlimmste am Zerfall der Jugend. Schliesslich ist
älter werden immer noch die einzige Möglichkeit, länger
zu leben. Aber man macht sich halt so seine Gedanken, auch solche,
die es noch werden wollen. Zu denken geben da die Begleiterscheinungen,
die sich ganz übel in Form von Werbung manifestieren. Wie soll
man dem Jugendwahn frönen und gleichzeitig in die Zukunft schauen?
Wieder einmal waren es die Plakate, die ihre Botschaften verworrener
nicht übermitteln könnten. Es gibt nämlich Schlimmeres
als die Provokationen von Oliviero Toscanini. Schwarzer Hengst bespringt
weisse Stute, schwarze Frau stillt weissen Säugling, Priester
in Schwarz küsst Nonne in Weiss.
Wahrlich aufgeschreckt hat ein ganz anderes Plakat an der Masanserstrasse
in Chur, weil es ausgerechnet am Geburtstag ganz direkt in die Augen
gesprungen ist. Kein Plakat von Benetton und seinen United Colors.
Nein, die Seniorenakademie Graubünden wendet sich direkt an
alle ab 55. Drei Mal leer schlucken und sich dann damit trösten,
dass man schliesslich vor einem Viertel Jahrhundert schon bei den
Senioren tschutten musste. Also ist alles relativ. Vor allem ist
es relativ plump, wie die Seniorenakademie einem Jugendwahn nacheifert.
Jedenfalls habe ich dazu eine klare Meinung, auch wenn ich nicht
ganz einverstanden mit ihr bin.
Stefan
Bühler
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