Dabei verhält sich die Demokratie wie eine
funktionierende Ehe: Mann kann sagen, was man will, und tut dann
doch, was einem gesagt wird. Zögern Sie trotzdem nicht, nehmen
Sie den Stapel
«Dasmussichunbedingtnochlesen» in die Hand und arbeiten
Sie sich durch. Beim Ausfüllen der Abstimmungszettel dann ja
keine Unsicherheiten anmerken lassen, im Zweifel soll man einfach
das Richtige tun. Bertold Brecht hat den Ja-Sager und den Nein-Sager
als Bühnenstücke geschrieben und deutlich gemacht, dass
Ja-Sagen einfacher ist. Wer die Lage immer wieder neu beurteilt,
eine eigene Meinung bildet und im Einverständnis mit den anderen
handelt – der muss halt auch Nein sagen. Auch dazu haben wir
am 18. Mai vielfach Gelegenheit.
Trotz Bürden für das Stimmvolk und Hürden für
die Kandidaten haben wir in diesem Mai eine einmalige Konstellation.
Wir werden laufend 200 Jahre zurückversetzt und dürfen
gleichzeitig ergraute Köpfe für die Zukunft wählen.
Auch unsere neue Verfassung sieht
weder Altersguillotine noch Jobsharing vor. Vorbei die Zeiten, wo
man politische Ämter in Teilen verkaufen konnte. So kostete
einst der Viertelanteil am Podestatenamt in Tirano, das für
die Jahre 1771 und 1772 Misox und Calanca zustand, 1400 Gulden.
In neuerer Zeit gelten für solche Fälle Pelze oder zweistellige
Autonummern als Zahlungsmittel.
Gemäss Bauernregel hätten die meisten Abstimmungsvorlagen
sowieso keine Chance. Was der nicht kennt, frisst er nämlich
nicht. Man gebe aber dem Staat seine Parlamentarier und eine neue
Verfassung. Ganz im Sinne John F. Kennedys: Frage nicht, was Dein
Land für Dich tun kann, sondern frage, was Du für Dein
Land tun kannst. «Wenig, so wenig, als er ihm», heisst
es bei P. C. Planta 1842. Was die Regierung im fernen Chur eigentlich
macht, weiss der Bündner nicht, und dass sie überhaupt
etwas zu tun hat, begreift er nicht. «Er meint, sie fresse
bloss, und wenn es nach ihm ginge, so würde er sie gänzlich
abschaffen.» Das allerdings sieht die neue Verfassung denn
überhaupt nicht vor.
Alles andere ist aber politisch durchdacht und gut vorbereitet.
So wissen wir heute schon, dass im Jahre 2014 das nächste Mal
an einem 18. Mai eine Volksabstimmung stattfinden wird. Demokratie
in der Schweiz ist schliesslich planbar. Der EU und der Nato bleiben
nur mehr der autonome Nachvollzug schweizerischer Beschlüsse,
wollen sie sich uns wirklich annähern. Bonaparte, von dem wir
jetzt viel zu hören bekommen, sah unser Demokratie-Dilemma
voraus: «Die Schweiz kann keine bedeutende Rolle mehr unter
den Staaten Europas spielen …»
Stefan
Bühler
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