Im Churer Untergrund liegen für die Stadt und
die Bevölkerung lebenswichtige Infrastrukturen. Daneben gibts «Untergeschosse»,
die nützlich und bequem sind, solche, die zu Gerüchten und Räubergeschichten
Anlass geben und jene, in denen man sich heute noch austoben kann.
Text: Walter Schmid
Eben ist, im Zuge der Neugestaltung des Bahnhofplatzes, der
düstere Fussgängertunnel geschlossen und die neue Unterführung
der Öffentlichkeit übergeben worden. Damit wurde ein Vorhaben
in die Tat umgesetzt, das bereits 1911 für den damaligen Verkehrsverein
Chur Anlass war, bei der SBB zu reklamieren. Nun können Einheimische
und Bahnreisende einen lichten und breiten Tunnel durchschreiten, wie
er in den 1980er Jahren auch am Postplatz gedacht war. Für die zwischen
Bahnhof und Altstadt zirkulierenden Fussgänger wurde über eine
Unterführung diskutiert, um den Verkehrsfluss der darüber verkehrenden
Autos geschmeidiger abwickeln zu können. Dieses Vorhaben ist schubladisiert
worden, im Gegensatz zu jenem der Graubündner Kantonalbank.
Hemdsärmelig im Tunnel
In die Planung des GKB-Ge-bäudetraktes an der Gäuggeli-/ Engadinstrasse
in den 1970er Jahren wurde auch ein Verbindungstunnel zum Hauptsitz am
Postplatz aufgenommen. «Ein weiser Entschluss», erklärt
der heutige GKB-Sicherheitsbeauftragte. Denn die elf Meter unter der Oberfläche
liegende 2 Meter breite und 3 Meter hohe Verbindung, die in klassischer
bergmännischer Stollenbauart vorgetrieben wurde, kann man mit einer
Ameisenstrasse zwischen zwei Ameisenhügeln vergleichen. Er ist Transportweg
zwischen den beiden Banken, der im Sommer und Winter hemdsärmelig
begangen oder mit Zweirädern befahren wird, hier verläuft die
Energieversorgung sowohl Strom wie Heizung und in einem Kanal liegen sämtliche
Kommunikationskabel. Vom Tunnel, der auch als Lagerraum dient, besteht
ein direkter Zugang zur Post 2, wo in einer «Freihandelszone»
die Geschäfte zwischen Bank und Post abgewickelt werden. Natürlich
ist der unterirdische Gang, der den Postplatz an der westlichen Seite
unterquert, ausschliesslich für das Bankpersonal zugänglich.
Das wäre möglicherweise anders, wenn ein Zusatzprojekt in die
Tat umgesetzt worden wäre. Vor rund 30 Jahren wurde nämlich
die Idee diskutiert, den Stollen bis zum Bahnhof zu verlängern und
dadurch eine Untertagverbindung zwischen Bank, Post 1 und Post 2 zu erstellen.
Das Vorhaben scheiterte damals im Wesentlichen an der Finanzierung.
Leitungen bis Fribourg
Auch in Chur durchzieht unterhalb des Strassenniveaus eine der Bevölkerung
kaum bekannte Parallelwelt die Stadt: Die Kanalisation mit ihren Röhren
und Kanälen. Entstanden ist diese Unterwelt vor knapp 100 Jahren
– zuvor, d. h. seit der Entstehung von Chur wurde aller Unrat im
Stadtkern den damals oberirdisch und heute unterirdisch fliessenden Mühlbächen
übergeben. Heute lassen die knapp 34 000 Stadtbewohner «ihre
Sachen» via Sanitäreinrichtungen in den Häusern weit unter
die Erdoberfläche auf Nimmerwiedersehen hinunterplumpsen. Dort sorgt
ein Kanalisationsnetz von rund 270 km Länge (was der Autobahndistanz
von Chur bis Fribourg entspricht) und mit einem Anlagewert von mehreren
100 Millionen Franken dafür, dass alles «fein säuberlich»
und ohne Geruchsemissionen der Abwasserreinigungsanlage zugeführt
wird.
Unterirdische Fluchtwege?
Dass vom Regierungsgebäude an der Reichsgasse ein unterirdischer
Gang zu den nahe gelegenen Schutzräumen unterhalb des Staatsarchives
führt, wohin die Bündnerregierung im Katastrophen- und Kriegsfall
flüchtet, ist ein Gerücht. Gerüchte entstehen, weil niemand
so richtig weiss, wie was, wo und wann läuft. In diesem Fall lüftet
Hans Gasser vom Amt für Zivilschutz und Katastrophenhilfe Graubünden
das Geheimnis wenigstens teilweise: «Tatsächlich findet die
Regierung in Extremsituationen Zuflucht in Schutzräumen tief unter
der Erdoberfläche». Mehr lässt sich der oberste Zivilschützer
jedoch nicht entlocken, ausser, dass sich diese «Katakomben»
ausserhalb von Chur befinden.
Zwischen dem Hofbezirk und der Altstadt, so geht die Mär um, gebe
es ein ganzes Netz von Geheimgängen. Das gab und gibt natürlich
zu allerlei Spekulationen Anlass, die teils schauerliches Ausmass annehmen.
So seien diese im Mittelalter als Zu- und Abgänge benützt worden
um Liaisons zwischen geistlichen und weltlichen Menschen zu verheimlichen.
Und – gar schlimm – seien in diesen Gängen auch unehelich
geborene Säuglinge der Ewigkeit übergeben worden. «Der
Fantasie», so Augustin Carigiet von der kantonalen Denkmalpflege,
«sind natürlich keine Grenzen gesetzt.» Speziell alte
unterirdische Gänge seien Ideenlieferanten für die unglaublichsten
Räubergeschichten.
Tatsächlich belegt ist ein teilweise eingebrochener unterirdischer
Gang, der vom Herrenhaus Oberer Spaniöl (1640) bis zur Museumsstrasse
unterhalb des Rätischen Museums reicht und, zwar unbewiesen, eine
«geheime» Verbindung mit dem im 16. Jahrhundert gebauten Unteren
Spaniöl an der Süsswinkelgasse darstellte.
Entmystifiziert ist ultimativ der Gewölbekeller beim «Langer
Gang» am oberen Ende der Sennhofstrasse. Er hat dem Druck der darüber
liegenden Hofstrasse vor 3 Jahren nicht mehr standgehalten und ist teilweise
eingestürzte. Vieles deute darauf hin, so Carigiet, dass sich im
Gewölbe ein Torkel befunden habe, zu dem aus dem Hofgarten über
die noch vorhandene Treppe das Traubengut hinunter getragen wurde. Dieser
Zugang zum Hof ist ebenso wenig für «Halotria triiba»
benützt worden wie sein wenig östlich gelegenes Pendant. Auch
dieser sei höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit Weinbau benützt
worden.
Kellertreiben
Und da sind beispielsweise noch Untergründe wie das in einen Rittersaal
umgewandelte historische Kellergewölbe in der Tiefe des Hotels Drei
Könige oder
der Gewölbekeller der Galerie
A. Kaiser an der Oberen Gasse, der als Präsentations- und Verkaufsraum
genutzt wird. An der Reichsgasse findet tief unter dem Strassenniveau
das Weinangebot von Markus Thöni seine Ruhe bis es von der Kundschaft
erstanden wird und unter der Völlmi’s Bar an der Goldgasse
liegt ein feudales Keller-Privatlokal, in dem vorwiegend Mitglieder des
Churer Castingclubs ihre Hocks abhalten, Sportgeräte pflegen und
«Fliegen binden». In einem rohen Bruchstein-Gewölbekeller,
in dem einst HR. Giger mit ersten Kunstwerken die Basis für seinen
Weltruhm legte, probt schon seit Jahrzehnten die Churer Rockband «Stork
Lane» (Storchengasse), die ihr Können öffentlich auch
schon im ebenso tief unter dem Boden liegenden Safari Beat Club an der
Kupfergasse zum Besten gab, während man sich tief unter dem Hotel
Chur im Halli Galli bei Disco-Sound schwindlig tanzt.
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