So weit der aktuelle Stand in Chur. Seit dem 19.
Jahrhundert werden die Friedhöfe an die Ränder der Städte
verlegt, meist weitab von der nächsten Kirche. Der schöne
Anblick, wie ihn etwa das Oratorio Sant’Anna in Poschiavo
bietet, ist selten geworden. In der vorgebauten Loggia sind seit
genau 100 Jahren die Schädel der Verstorbenen aufgeschichtet,
eine äusserst rationelle Bestattungsart.
Beerdigungen in Chur können wie gesagt auf ein sehr geduldiges
Publikum zählen. Als der Churer Pianist Fritz Trippel einst
in der Kathedrale einen Beatles-Song zum Besten gab, reklamierte
keiner aus der Gemeinde, nur die bischöfliche Verwaltung war
nicht gerade erfreut. Bei einer anderen Abdankung in der Regulakirche
hatte die aufgebotene Ländlerkapelle nicht mit einem Wettersturz
gerechnet, aus der gefrorenen Klarinette entwichen nur schrille
Pfiffe. Da wischte sich mancher eine zusätzliche Träne
aus den Augen. Geduld hatte auch die versammelte Trauergemeinde
in der Kathedrale, die eine halbe Stunde lang still und geduldig
der Dinge harrte, die nicht kommen sollten. Der Pfarrer hatte die
Abdankung schlichtweg vergessen und war gar nicht erst gekommen.
Das Daelwijck Krematorium in der Stadt Utrecht bietet Familienmitgliedern
und Freunden die Möglichkeit, die Beerdigung ihrer Verwandten
im Internet zu betrachten. Zwei Webcams übertragen die Abdankung
live im Internet. Kein Sonnenstich, keine Erfrierungen, keine Pfeifen
an der Orgel trüben da das Bild der Abdankung. Allerdings fehlt
auch das gesellschaftliche Erlebnis einer Beerdigung. Edi Capadrutt
hat auch ohne Internet zu seinen Lebzeiten keine Beerdigung in Chur
verpasst, ob er den Verstorbenen gekannt hat oder nicht. Und nach
dem Leichenmahl ist er auch im hohen Pensionsalter in der Felsenbar
aufgetaucht, um zum Abschluss eines erfüllten Tages noch etwas
das Tanzbein zu schwingen.
Viele Churer wissen gar nicht, weshalb der Platz in der Altstadt
Arcas heisst. Das kommt von Armin Caprez, Sargmacher, der viele
Geschichten erzählen könnte. Ihm ist nie passiert, was
einem Bestattungsunternehmer kürzlich in Deutschland fast die
Lizenz kostete: Diesem war das Handy in den Sarg gerutscht, das
dann auch prompt während der Abdankung zu klingeln begann.
Als nach einem Erdrutsch in einer Münstertaler Gemeinde ein
Teil des Friedhofes weggerissen wurde, fielen die zahlreichen halben
Särge auf. Des Rätsels Lösung: Der Friedhofgärtner
hatte Platzprobleme und fand eine eigene Lösung: Sobald die
Trauergemeinde in der Kirche war, halbierte er die Särge mitsamt
Leiche und schichtete sie aufeinander. Der ehemalige Bündner
Justizminister Jakob Schutz liess Gnade vor Recht ergehen, der Fall
kam nie an die Öffentlichkeit.
Ohne Beinhaus oder Münstertaler Lösung, heute haben die
Toten genug Platz, Mühe machen jetzt die Lebenden.
Stefan
Bühler
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