Die Museums-Offensive
Die drei grossen Bündner Museen in Chur haben viele Gemeinsamkeiten:
Sie beherbergen «Gegenstände» aus der Kunst, Kultur und
Natur und sind Spiegelbild unseres Kantons. Doch wer glaubt, mit einem
Besuch habe man alles gesehen, irrt. Denn das Bündner Kunstmuseum,
das Bündner Naturmuseum und das Rätische Museum sind keine starren
Gebilde. Sie sind dauernd im Wandel und überraschen mit informativen,
unterhaltsamen und beschaulichen Angeboten.
Text und Bilder: Walter Schmid
«Die Ausstrahlung der Museen in Chur», so Beat Stutzer, Direktor
des Bündner Kunstmuseums, «hätten mehr Aufmerksamkeit
bei der einheimischen Bevölkerung verdient». Er hegt –
auf das Kunstmuseum bezogen – den Verdacht, dass viele, die einmal
die Ausstellung besucht haben, glauben, das sei es gewesen. Dem ist aber
nicht so. Einerseits finden immer wieder Werke aus den mittlerweile etwa
6000 Arbeiten aus allen Bereichen der bildenden Kunst, die in den Schutzräumen
gelagert sind, Einlass in die ständige Ausstellung, und Neuanschaffungen
werden jeweils unter der Rubrik «Neu in der Sammlung» dem
Publikum vorgestellt. Andererseits präsentiert das Kunstmuseum regelmässig
Sonderausstellungen, die in der jüngsten Vergangenheit fast ausnahmslos
für nationales und gar internationales Aufsehen sorgten – Angelica
Kauffmann, Augusto Giacometti und die Fotoausstellung «Tausend Blicke»
sind nur drei Beispiele dazu.
Zwischen Expressionismus und Segantini
Einen Beweis dafür, dass in den «Katakomben» schlummernde
Werke ans Licht der Museumsräume gebracht und der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden, erbringt die gegenwärtige Ausstellung
unter dem Titel «Weltschmerz» (bis 21. März). Sie ist
dem Expressionismus in der Schweiz gewidmet und vermittelt mit über
100 Zeichnungen und Druckgrafiken aus der Sammlung des Kunstmuseums das
Leiden an der Welt und die Erlösungssehnsüchte der ersten Generation
des 20. Jahrhunderts.
Mit der Ausstellung von Werken Elisabeth Arpagaus’ stellt das Kunstmuseum
ab dem 3. April das Schaffen einer Churerin in den Mittelpunkt –
ein stiller und beschaulicher Dialog zwischen Malerei und Fotografie.
Zum Höhepunkt des Sommers 2004, so ist Beat Stutzer überzeugt,
werde die Ausstellung der Segantini-Zeichnungen. Mit grossem administrativem
Aufwand ist es gelungen, erstklassige Zeichnungen aus zahlreichen europäischen
Museen und Privatsammlungen nach Chur zu bringen. Das Publikum kommt ab
dem 5. Juni nicht nur in den Genuss der bisher grössten Ausstellung
von Segantini-Zeichnungen nördlich der Alpen. Das Bündner Kunstmuseum
kann sich zudem rühmen, erstmals überhaupt die drei grossen
Blätter zum Alpentriptichon präsentieren zu können.
Dienstleistungen
Regelmässig finden im Kunstmuseum öffentliche Führungen
durch die Sonderausstellungen und die Sammlung sowie Vorträge, Lesungen,
Konzerte und Workshops statt. Die Museumspädagogin, die Kunst den
Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen vermittelt, steht LehrerInnen aller
Stufen zur Verfügung, um im Kunsthaus den Unterricht ergänzende
Veranstaltungen zu organisieren. Ihre Dienstleistungen sind auch Gruppen
(Vereinen, Firmen etc.) für individuell zugeschnittene Abendveranstaltungen
zugänglich.
Museumspädagogische Vermittlung ist auch im Rätischen Museum,
dem seit 1872 bestehenden «Haus voller Geschichte» ein grosses
Anliegen. Denn anhand der Sammlung, die – von der Urgeschichte bis
ins frühe 20. Jahrhundert – archäologische, kulturgeschichtliche
und volkskundliche Objekte aus dem ganzen Kanton umfasst, sind spannende
und aufschlussreiche Stunden für LehrerInnen, Schulklassen, Familien
und Gruppen garantiert; und natürlich auch für individuelle
BesucherInnen.
Wie die Mumie nach Chur kam
Auch das Rätische Museum veranstaltet regelmässige Sonderausstellungen.
Zu ihnen können auch die bedeutendsten Kunstwerke aus dem Churer
Domschatz gezählt werden. Denn sie geniessen bis zum Ende der Restaurierung
der Kathedrale Gastrecht im barocken Patrizierhaus an der Hofstrasse.
Mit dieser Ausstellung möchte das Rätische Museum einen Beitrag
zur Konzeptentwicklung eines neuen Dommuseums leisten, das auf dem Hof
neu eingerichtet werden soll.
Seit Monaten sind die Museumsverantwortlichen daran, ein für Chur
spezielles «Objekt» der Öffentlichkeit näher bekannt
zu machen, an das sich ChurerInnen über 50 noch mit wohligem Schauer
erinnern: die Mumie der um das Jahr 600 v. Chr. verstorbenen Ägypterin
Ta-Di-Isis. Sie wurde 1877 von Jacques Ambrosius und Peter von Planta
– sie betrieben seit 1853 in Alexandria ein Handelshaus –
ihrem Churer Vetter und Museumsgründer Peter Conradin von Planta
geschenkt und war bis 1964 im Museum ausgestellt.
Die Ausstellung, die am 13. Mai eröffnet wird, thematisiert aber
nicht die ägyptische Pharaonenzeit und ist auch nicht eine Zurschaustellung
einer einstigen Erdenbewohnerin. Es geht um ihr 2600-jähriges «Nachleben»,
das im Grab in Theben-West beginnt und im Kulturgüterschutzraum des
Rätischen Museums endet. Darin eingebettet sind unter anderem die
dokumentierte Geschichte der von Planta in Chur und Ägypten, die
umständliche Reise der Mumie, die Untersuchungsergebnisse der Computertomograph-
und C 14-Methoden. «Die Ausstellung», so Museumsdirektor Jürg
Simeon, «bestreicht die letzten 2600 Jahre und behandelt sowohl
geistesgeschichtliche wie naturwissenschaftlich / medizinische Themen,
solche der grossen klassischen Weltgeschichte wie der Bündner Landesgeschichte.
Weit voraus planen
Dass die Tätigkeit der Belegschaften aller drei bündnerischen
Museen nichts mit «Abstauben alter und ruhender Relikte» zu
tun hat, zeigt sich in der gemeinsamen Ausstellung, die im Herbst 2004
namens «Weisse Wunderware» lanciert wird. In unterhaltsamer
und gleichzeitig aufschlussreicher Art und Weise wird dabei das «Element»
Schnee be- und durchleuchtet: ein alljährlich wiederkehrendes Objekt
der Faszination, für die einen ein Segen, für die anderen ein
Fluch, aber kalt lässt der Schnee niemanden. Im Kunstmuseum sind
u. a. Stiche und Gemälde von Lawinen und Flockenspiel neben zeitgenössischen
Videoinstallationen zu sehen, im Rätischen Museum wird mit Sicherheit
dem Thema Verkehr und Transport Aufmerksamkeit geschenkt und das Bündner
Naturmuseum widmet sich der Flora und Fauna im Winterkleid mit all seinen
schönen und schlimmen Facetten.
Schweizweite Bedeutung
Dass im Bündner Naturmuseum «ausgestopfte» Steinböcke,
Hirschstiere, Greifvögel, aufgespiesste Käfer, starres Gestein
usw. zu sehen sind, stimmt – auch dass es lebende, schwimmende Fische
gibt. All das vermittelt Eindrücke über die Lebensräume
der heimischen Fauna und Flora. Es zeigt auch auf, wie wichtig für
uns Menschen der behutsame Umgang mit dieser Artenvielfalt ist. Die permanente
Ausstellung ist nur ein Bestandteil dieser «Erziehungsbestrebungen».
Denn das Bündner Naturmuseum kann ohne weiteres auch als Bildungsstätte
bezeichnet werden, wo – für naturinteressierte Laien bis zu
angehenden Biologen – Wissen vermittelt wird. Dazu wird eine ganze
Anzahl Veranstaltungen angeboten. Etwa die Führungen unter dem Titel
«Rendez-vous am Mittag», die wildkundlichen Kurse, die Sonderausstellungen
wie die bevorstehenden unter den Titeln «Kröpfe, Kräuter,
Höhenkuren» (ab 15. April), oder «Grösser, schöner
stärker – Vom Auffallen bei Tier und Mensch» (ab 26.
August). Zudem geniessen naturverbundene Institutionen Gastrecht im Naturmuseum.
Das Spektrum reicht von den öffentlichen Veranstaltungen der Naturforschenden
Gesellschaft Graubünden bis zu Anbietern von Zeichnungskursen. Stolz
kann die Belegschaft des Bündner Naturmuseums aber auch darauf sein:
Es bietet nicht nur das dichteste Kursangebot aller Museen der Schweiz.
Da viele Biologie-Themen an den Universitäten nicht mehr doziert
werden, hat das Naturmuseum diese Aufgabe übernommen und schliesst
als «Churer Uni» diese Lücke mit verschiedenen Kursen
für Studenten.
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