Smalltalk im Caféhaus

«Wenn ich versteckte Mängel aufdecke, lernen sie den anderen Accola kennen»
Andreas Accola kennt Chur. Und viele Churer kennen ihn. Dem aus Davos stammenden Feuerungsfachmann ist kein Haus auf Stadtgebiet fremd. Denn seit 30 Jahren amtiert er als städtischer Brandschutzexperte und hat durch seine Tätigkeit Wesentliches dazu beigetragen, dass die Feuerwehr seit vielen Jahren nur noch relativ selten in Stresssituationen gerät – oder anders ausgedrückt: dass Chur seit langem vor schlimmen Brandfällen verschont geblieben ist. Bei einem Smalltalk im Café Passage an der Bahnhofstrasse hat der kurz vor der Pensionierung stehende «Kämpfer gegen Feuersbrünste» über seine langjährigen Erfahrungen und Eindrücke als Feuerpolizist von Chur geplaudert.

Text und Bild: Walter Schmid

«Es ist schon so, dass mich in Chur sehr viele Leute kennen. Und es ärgert mich ein wenig, wenn ich auf der Strasse mit grüezi Herr Accola oder tschau Andreas gegrüsst werde und mir dann manchmal die Namen nicht gerade in den Sinn kommen. Man möge das mir verzeihen. Anders ist das bei Installateuren, Leuten von Baufirmen, von Heizungs- und Lüftungsbetrieben. Da gibts wohl kam jemanden auf dem Platz Chur, den ich nicht persönlich kenne – sie sind sozusagen mein täglich Brot. Und was mir auch nicht fremd ist, sind die Gebäude von Chur. Im Laufe meiner Tätigkeit als städtischer Brandschutzexperte habe ich alle Häuser kennen gelernt, die bei der Gebäudeversicherung angemeldet sind. Das sind rund 3800 Objekte. Sie sind in meinem Kopf gespeichert, mit allem was für die Ausübung meines Berufes wichtig ist. Es tönt
zwar unglaublich, aber ich kann, ob Einfamilien- oder Hochhaus, ob Bürogebäude oder Warenhaus, ob Alt- oder Neubau, alles aus meinem Gedächtnis abrufen: Heizungsart, Brandbekämpfungsmittel, Feuermeldeanlagen, Sprinkleranlagen und so weiter. So ungewöhnlich ist das glaube ich nicht, denn wenn man sich mit einer Materie über lange Zeit intensiv auseinandersetzt, prägt man sich Wichtiges eben ein. Natürlich ist alles, was ich über die Churer Gebäude im Kopf habe, auch auf Papier dokumentiert. Seit 15 Jahren registriere ich zudem alles auch auf dem Computer. Das erleichtert meinem Nachfolger die Arbeit. Am 1. Juli dieses Jahres, wenn ich in Pension gehe, wird er meinen Job übernehmen, den ich dreissig Jahre lang in Chur ausgeübt habe. Damals hab ich nach Tätigkeiten in der Heizungsbranche im Unterland auf eine Stellenausschreibung im Kanton Graubünden reagiert. Jetzt oder nie zurück ins Bündnerland, hab ich mir gesagt, denn die Jagd und die Fischerei haben mir sehr gefehlt. Nach zehn Jahren fusionierte die Bündner Heizungsfirma. Die Idee selbstständig zu werden, fand meine Frau aber gar nicht gut. Also hab ich mich bei der Stadt um die freie Stelle beworben. Aber es dauerte fast ein halbes Jahr, bis ich im Juni 1974 die telefonische Nachricht erhielt, dass die Würfel gefallen seien und Stadtpräsident Melchior mich als Brandschutzexperte gewählt habe.
Meine Aufgabe als Feuerungsfachmann bestand zuerst darin, Baupläne und Baugesuche auf Brandschutzmassnahmen zu kontrollieren. Dazu kamen dann die periodischen Brandschutzkontrollen in den Gebäuden, welche die Feuerung, die Kamine, die Brandabschnitte usw. umfassen. Ich hab die Stadt richtiggehend durchgestrählt. Das Aufgreifen, der Vollzug und die Durchsetzung der Brandschutzmassnahmen waren in den ersten 20 Jahren sehr hart und aufwändig. Es bestand ein riesiger Nachholbedarf, um den feuerpolizeilichen Vorschriften gerecht zu werden. Vieles musste durchgesetzt werden, meistens mit finanziellen Folgen für die Eigentümer. Es gab Strassenzüge, in denen in jedem zweiten Haus Mängel vorhanden waren. Bei vielen läuteten die Glocken, wenn der Accola auftauchte und manche hatten einen Heidenrespekt vor mir. Dass die Kontrollen und die Folgen davon nützlich waren, stellte sich dann vielfach im Nachhinein heraus.
Heute kann man sagen, dass, dank der Durchsetzung der feuerpolizeilichen Vorschriften, Chur sicherer geworden. Als ich vor 30 Jahren eingestiegen bin, gab es in unserer Stadt rund 200 Feuerwehreinsätze pro Jahr. Ich selber hatte als Feuerwehrmann zwischen 1974 und 1989 über 400 Einsätze mit leider sieben Todesfolgen. Das sind sieben zuviel, weil bei den meisten ungenügender Brandschutz die Ursache war. Heute muss die Feuerwehr jährlich noch zu 30 bis 40 Löscheinsätzen ausrücken, wobei auch die Schwere der Brandfälle zurückgegangen ist. Das sind direkte Folgen der periodischen Kontrollen, die alle zwei Jahre bei Hochhäusern, Hotels und Gebäuden mit Tiefgaragen durchgeführt werden. Publikumsintensive Objekte, wie zum Beispiel Warenhäuser, kommen jedes Jahr dran und normale
Einfamilienhäuser werden beim Neubau abgenommen. Wo immer aber Heizkessel ausgewechselt oder Kamine saniert werden oder grössere Umbauten und Renovationen im Gange sind, werden feuerpolizeiliche Kontrollen durchgeführt. Daraus ergeben sich etwa 360 Verfügungen jährlich. Das Spektrum der Beanstandungen ist sehr gross – ein durchgerostetes Ofentürchen ist eine Bagatelle, ein halbzerfallener Kamin birgt jedoch ein grosses Potenzial an Brandgefahr. Wenn etwas zu beanstanden ist, erkläre ich dem Eigentümer Sinn und Nutzen und wir terminieren die ganze Angelegenheit. Trotz der Vorschriften kann man, auch was die baulichen Massnahmen anbetrifft, beweglich sein. Ich muss das aber voll verantworten können. Wenn dann aber jemand behauptet, er habe die Anpassungen vorgenommen und das stimmt nicht, dann lernen sie einen anderen Accola kennen. Zum Glück ist das nur noch selten der Fall. Fast keine Probleme mehr gibt es seit Jahren bei Neubauten. Oft bereits schon in der Planungsphase werde ich kontaktiert und wir gehen, was den Brandschutz anbelangt, Punkt für Punkt durch, bis die letzte Frage geklärt ist. Das ist nur möglich dank den sehr guten Beziehungen zu Architekten, Planern, Bauherrschaften, Installateuren und Handwerksbetrieben. Vielfach werde ich auch kurzfristig zum Beispiel zur Abnahme einer neuen Heizung gerufen. Ich kombiniere dann diesen Besuch mit weiteren anstehenden Visiten. Die beginnen jeweils nach der morgendlichen Bürozeit von sieben bis neun Uhr. Acht Objekte kontrolliere ich im Schnitt täglich. Dazwischen kläre ich auch viele Sachverhalte und beantworte Fragen per Handy. Ich trage das Ding zwar erst seit 14 Monaten mit mir herum, aber ich muss schon sagen, es ist eine unglaubliche Hilfe, bringt Zeitersparnis und erleichtert die Arbeit ungemein. Nicht nur seinetwegen blicke ich der Zeit
bis zum 1. Juli relativ ruhig entgegen. Es ist auch die Genugtuung für mich, dass ich während meiner Tätigkeit im Brandschutz für die Mitmenschen in der Stadt einiges erreichen konnte.»


zurück