Maiensäss

«… und moora isch schualfrei!»
Am Dienstag, 11. Mai, ist es wieder soweit: Die Churer Schuljugend tauscht Bücher, Hefte und Schreibzeug mit dem Rucksack und schwärmt traditionsgemäss Punkt 7 Uhr morgens durch das Obertor hinaus und hinauf auf die rund um die Stadt liegenden Maiensässe.

Text und Fotos: Walter Schmid

«Maiensässfahrt»: ein magisches Wort nicht nur für die Schuljugend von Chur. Wenn frühmorgens am 11. Mai – oder an einem der folgenden Reservedaten (siehe unten) – in den Haushaltungen die Rucksäcke mit Würsten, Brot, Schleckereien, Getränken und all dem, was man den ganzen Tag durch noch so braucht, gepackt werden und wenig später die Jugendschar zu den Maiensässen rund um die Stadt aufbricht, berührt das auch ihre in Chur aufgewachsenen Eltern und Grosseltern. Nicht erst dann, wenn am späten Nachmittag aus weit über 3000 Kehlen das Churer Stadtlied «Was ist so schön wie unsere Stadt...» und das Maiensässlied «Stiller Berg viel lieber Wald...» erschallen. An keinem Tag im Jahr ist’s in der Stadt so auffallend ruhig wie am Maiensässtag; verwaiste Schulplätze mit leeren Veloständern, kein Kinderlachen, kein Kindergeschrei.

Von Zünftern gegründet
Das ist seit 169 Jahren so. Denn die Maiensässfahrt, der wohl innigste und auch älteste Brauch von Chur, ist in der Zunftzeit entstanden. 1835 wurde zuhanden des Schulrates der Wunsch geäussert, man möge doch zur Ermunterung für Lehrer und Schüler ein allgemeines Fest im Frühling oder Herbst veranstalten. Die Idee hatte gegriffen und wird seither alle Jahre im Frühling praktiziert. In den Anfängen nahm zeitweise die ganze Bevölkerung am Ausflug teil, wobei es, so berichtet ein Chronist, unter den Erwachsenen oft zu Ausschreitungen, Saufgelagen und Prügeleien gekommen sei. Die «Querelen» sind glücklicherweise vorbei, wenn man davon absieht, dass bis zur Integration der Hofschule in die Stadtschule (Mitte der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts) die SchülerInnen der beiden Institutionen aus heute kaum nachvollziehbaren Gründen getrennt und an separaten Tagen die Maiensässfahrt begingen – oder begehen mussten.

3300 Jugendliche unterwegs
Seither gilt für alle KindergärtnerInnen und VolksschülerInnen von Chur das gleiche Datum und man lässt sie zusammen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern unter sich. Um sieben Uhr frühmorgens zieht die nicht enden wollende, weit über 3000-köpfige Schülerschlange mit einigen Dutzend Lehrkräften gemeinsam durch das Obertor aus der Stadt und sucht in mehr- oder wenigerstündigen Wanderungen die über Chur gelegenen Maiensässe auf. Unten in der Stadt gehen derweil die Erwachsenen zur Arbeit und für viele «kinderlose» Mütter bietet sich die Gelegenheit, einige Verpflichtungen abzustreifen und unter ihresgleichen ein paar ungestörte Stunden beim «Kaffeekränzchen» zu verbringen.
Auf dem «Schönegg», dem «Mittenberg», dem «Känzeli», dem «Fülian», bei der «Wisshütte» oder auf «Brambrüesch» toben sich derweil die Kinder aus und vergessen auf den grünen Wiesen und in den Wäldern bei Spiel, Spass und Picknick – und mit Handys und Walk- und Discmans ausgerüstet – den Schulstress.
Ihre Rückkehr erwartet am späten Nachmittag die Spalier stehende Bevölkerung von Chur. Die müden aber glücksstrotzenden Kinder und Halbwüchsigen ziehen mit russgeschwärzten Gesichtern, in einem Wald aus Haselstauden und begleitet von Blasmusik- und Ländlerformationen, vom Martinsplatz via Poststrasse und Grabenstrasse zur Quaderwiese. Es folgt der gemeinsame Gesang des Churer Stadtliedes (siehe Kästchen) und des Maiensässliedes aus den Kehlen der Churer Schuljugend; und kaum ein Aussenstehender kann dann begreifen, dass manchen Eltern, in Erinnerung an die eigene Schulzeit, ein paar wehmütige Tränen über die Backen kollern.
Den für die SchülerInnen absoluten und herbeigesehnten Höhepunkt des Tages setzt dann der Herr Lehrer am hohen Rednerpult, indem er auch heuer die von unbeschreiblichem Freudengeschrei begleitete Botschaft: «...und moora isch schualfrei!» verkündet.

Maiensäss-Termine 2004
Dienstag, 18. Mai
Dienstag, 25. Mai
Mittwoch, 26. Mai
Donnerstag, 27. Mai
Mittwoch, 2. Juni
Donnerstag, 2. Juni
Auskunft über die Durchführung Tel. Nr. 1600

Churer Stadtlied
Was ist so schön wie unsre Stadt
mit altvertrauten Gassen,
die Berg und grüner Wälderkranz
mit Duft und sommerhellem Glanz
und Blumenschein umfassen.

Die Väter haben sie gebaut
in längst vergangnen Tagen,
mit ihrer Hände Fleiss gebaut
und aufgeschaut und Gott
vertraut
und manches Leid getragen.

Wir danken heut.
Wir sind noch klein
und müssen viel noch lernen.
Bald aber wird es anders sein:
wir reisen in die Welt hinein,
in ihre Wunderfernen.

Und kehren, so Gott will, zurück,
um weiter hier zu bauen …
Und lauschen froh dem
Glockenchor,
der aus den Türmen braust empor
und leis verweht im Blauen …

Mehrheitsentscheid
Die Organisation und Durchführung des Maiensässausflugs liegt in den Händen der Maiensäss-Kommission, die seit 1986 vom Primarlehrer und Daleu-Hausvorstand Silvio Peder präsidiert wird. Dem Gremium gehören von Amtes wegen alle Hausvorstände der 12 Schulhäuser an. Sie treffen sich am Vortag Punkt 13.15 Uhr und entscheiden aufgrund der Wettervoraussichten, ob «das Maiensäss» stattfindet.

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