Giovanni Segantini – Weltpremiere im Kunstmuseum
Giovanni Segantini: Zeichnungen. So titelt die bis 5. September 2004 dauernde
Ausstellung im Bündner Kunstmuseum, die von internationaler Bedeutung
ist. Denn sie gibt einen ersten fundierten Einblick in das zeichnerische
Schaffen des Künstlers, darunter Werke, die noch nie in einer Ausstellung
zu sehen waren.
Text: Walter Schmid
Es sei schlicht ein Ereignis, wenn die drei herausragenden Zeichnungen
zu Giovanni Segantinis majestätischem Alpentriptychon in dieser Ausstellung
gezeigt werden können, sagt Beat Stutzer, Direktor des Bündner
Kunstmuseums. «Denn zum ersten Mal überhaupt können diese
monumentalen Blätter zusammengeführt und öffentlich präsentiert
werden». Die Zeichnung «Die Natur» ist erst 1995 anlässlich
einer Auktion bei Sotheby’s aufgetaucht, und das ebenso grossartige,
farbige Pastell «Das Leben» war seit seiner Entstehung überhaupt
noch nie in einer Ausstellung zu sehen.
Wenig beachtete Zeichnungen
Giovanni Segantini gilt als ein bedeutender Vertreter des europäischen
Symbolismus und als Erneuerer der Alpenmalerei. Er gilt auch als Maler
und Meister der leuchtenden Farben. Im Unterschied zu seinen Gemälden,
die aufgrund von zahllosen Reproduktionen einer breiten Öffentlichkeit
bekannt sind, fand sein zeichnerisches Schaffen
bislang wenig Beachtung. Mit insgesamt 64 sorgfältig ausgewählten
Blättern aus Privatsammlungen und zahlreichen Museen vermittelt die
Ausstellung im Bündner Kunstmuseum einen gültigen Überblick
über das zeichnerische Schaffen Segantinis. Die exquisiten Zeichnungen
sind zu einem imposanten Überblick versammelt, der in dieser Dichte
und Zusammenstellung noch nie zu erleben war.
Mit den Zeichnungen Segantinis ist das aussergewöhnliche Phänomen
der so genannten «Nachzeichnung» verknüpft. Da der Künstler
den grössten Teil seiner Blätter nach ausgeführten Gemälden
geschaffen hat, handelt es sich bei der Ausstellung zugleich um eine Art
Retrospektive. Den meisten seiner berühmten Motive wie «An
der Stange», «Die beiden Mütter», «Die Heuernte»,
«Der Engel des Tages» usw. begegnet man auch in den Zeichnungen.
Entscheidend für die bislang mangelnde Wertschätzung der Zeichnungen
war die Tatsache, dass Segantinis Nachzeichnungen oft despektierlich als
Reproduktionen oder Kopien kritisiert wurden. «Dabei», so
Beat Stutzer, «weisen die meisten dieser Arbeiten eine ungemein
hohe künstlerische Qualität auf».
Enormer Aufwand
Die Entstehung der Segantini-Ausstellung, die als eine der teuersten und
aufwändigsten je im Bündner Kunstmuseum gezeigten gilt, erforderte
einen enormen Einsatz der Museums-Crew. Um die wertvollen Exponate zu
beschaffen, wurden zahlreiche private Sammlungen und einige der renommiertesten
Museen Europas mit Erfolg kontaktiert. So finden sich unter den Leihgaben
etwa die Werke aus dem Szépmüvészeti Múzeum
in Budapest, aus dem Kröller-Müller Museum in Otterlo, aus den
Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden, aus der Graphischen Sammlung Albertina
in Wien, aus der Hugh Lane Municipal Gallery in Dublin, aus dem Ashmolean
Museum in Oxford oder aus dem Musée d’Orsay in Paris. Dass
viele der Werke nun in Chur zu bewundern sind, ist einerseits der Hartnäckigkeit
der Ausstellungsmacher zu verdanken, «andererseits», so Museumsdirektor
Stutzer, «öffnete uns der Umstand manche Türen, dass wir
eine Ausstellung mit
repräsentativem Anspruch zeigen und erst noch in Segantinis Wahlheimat».
Katalog und Führungen
Zur Ausstellung – die von Dienstag bis Sonntag durchgehend von 10
bis 17 Uhr (Donnerstag bis 20 Uhr) besichtigt werden kann – hat
das Bündner Kunstmuseum eine umfassende Katalogpublikation herausgegeben,
die im Museum erhältlich ist. Darin sind nicht nur sämtliche
ausgestellten Blätter farbig abgebildet, sondern auch mit
einem ausführlichen Text von Museumsdirektor Beat Stutzer kommentiert.
Jeden Donnerstag um 18.30 Uhr finden öffentliche Führungen statt,
geschlossene Führungen können auf Anfrage unter Tel. 081 257
28 68 gebucht werden.
Weitere Infos auf www.buendner-kunstmuseum.ch
Stationen von Segantini
Am 15. Januar 1858 wird Giovanni Segantini in Arco am Gardasee geboren.
Als er 7-jährig ist, stirbt seine Mutter. In der Folge durchlebt
er eine schwierige Jugend. Mit 12 wird er in eine Erziehungsanstalt gesteckt,
wo man sein zeichnerisches Talent entdeckt und fördert. 1874 zieht
Segantini nach Mailand, arbeitet für einen Dekorationsmaler und besucht
Kurse für Malerei und Ornamentik. Fünf Jahre später erringt
er mit dem Gemälde «Der Chor der Kirche Sant’Antonio»
seinen ersten Erfolg. An der Weltausstellung 1883 in Amsterdam wird Segantinis
erste Version von «Ave Maria bei der Überfahrt» mit der
Goldmedaille ausgezeichnet. 1886 lässt sich Segantini in Savognin
nieder, verlässt den Ort aber 1894, um sich mit seiner Familie in
Maloja niederzulassen. Das Projekt eines riesigen Engadiner Panoramas
für die Pariser Weltausstellung von 1900 scheitert an den hohen Kosten.
So widmet er sich ab 1898 ganz dem Alpentriptychon «La Natura –
La Vita – La Morte». Das Werk, welches das gescheiterte Engadiner
Panorama hätte ersetzen sollen, bleibt jedoch unvollendet. Giovanni
Segantini stirbt am 28. September 1899 im Alter von 41 Jahren in seiner
Hütte auf dem Schafberg, oberhalb von Pontresina, an einer akuten
Bauchfellentzündung.
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