Dabei gab und gibt es immer wieder Gruppierungen,
die sich gegen zu viel Patriotismus wenden. So drohte etwa im Vorfeld
der Landesausstellung 1914 in Bern die Industrie mit Boykott. Grund
dafür war die kulturkritische Haltung der Gewerbler, die sich
gegen die profitorientierte Industrie wandten und vor allem das
Schweizertum pflegen wollten. Damals wurden die ersten Globalisierungsleichen
geboren.
Allzu offen Patriotismus an den Tag legen ist des Schweizers Sache
nicht. Bei den Griechen konnten wir an der Fussball-EM nach jedem
Sieg lernen, wie man Flagge zeigt. Stattdessen ducken wir uns als
Schweizer, weil einer spuckt und der andere ein Tor aberkennt. Die
Gesichter der Fussball-Funktionäre sahen aus, als hätten
sie drin geschlafen. Sind wir froh, werden wir im August vom Nationalfeiertag
auf andere Gedanken gebracht. Und sei es nur, um den Touristen etwas
zu bieten. So dem Sinne nach: «Mutti, lass die Ziegen raus,
die Gäste wollen Gämsen sehen».
Die gegenwärtige labile Befindlichkeit beim Thema Schweizertum
kann man in Bern erkennen. Eine Motion, die eine neue Regelung für
die Beflaggung des Bundeshauses erwirken wollte, wurde abgelehnt.
Während den Sessionen der eidgenössischen Räte sollte
das Parlamentsgebäude vom ersten bis zum letzten Sessionstag
mit einer Schweizerfahne und allen Kantonsfahnen geschmückt
werden. «Die Beflaggung mit den Kantonsfahnen am Nordbalkon
sollte sich weiterhin auf spezielle Festtage beschränken und
Ausdruck besonderer Freude oder Veranlassung bleiben», meinte
der Bundesrat und lehnte ab. Was wir bisher ahnten, wird damit von
höchster Stelle offiziell bestätigt: Eine Parlamentsdebatte
ist kein Ausdruck besonderer Freude.
Auf dem Bundesplatz hätten jetzt die Kantone Gelegenheit, ihre
Verbundenheit mit dem Land zum Ausdruck zu bringen. Der neue Brunnen,
der mit 26 Fontänen alle Kantone repräsentiert, wird dort
nämlich am 1. August feierlich eingeweiht. Neun Kantone haben
die Einladung, je 10000 Franken an ihre Fontäne zu zahlen,
dankend abgelehnt. Mit beschränkter Verbundenheit und reduzierter
Solidarität wird er trotzdem zu sprudeln beginnen. Und das
Wasser wird über den strukturierten Valser Gneis fliessen,
wie es Heraklit von Ephesus immer gesagt hat: «Alles fliesst
und nichts bleibt». Ehrensache, dass der Kanton Graubünden
der Einladung auf finanzielle Unterstützung Folge geleistet
hat.
Goethe hat geschrieben: «Man hat gesagt und wiederholt: wo
mir's wohlgeht, da ist mein Vaterland!» Doch wäre dieser
tröstliche Spruch noch besser ausgedrückt, wenn es hiesse:
«wo ich nütze, ist mein Vaterland». Nur wo ich
spritze, soll nicht von Bern diktiert werden. «Wenn der Mensch
sich etwas vornimmt, so ist ihm mehr möglich, als man glaubt».
Dieser Aufruf von Johann Heinrich Pestalozzi sollte am 1. August
jeder befolgen. Die Schweiz käme zu einem Fahnenmeer, ohne
je ein Fussballspiel gewonnen zu haben.
Stefan
Bühler
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