AUSSTELLUNG

«Weisse Wunderware Schnee» – Ausstellung in den drei Museen

Die drei kantonalen Museen spannen erstmals zusammen und widmen sich dem Thema «Schnee». Die Ausstellung, die am 19. November eröffnet wird und schweizweit Beachtung finden dürfte, wird durch ein breites Rahmenprogramm und ein Begleitbuch ergänzt.

Der Schnee fasziniert jedes Jahr. Für die einen Fluch, für die anderen Segen, lässt er niemanden kalt. Mal übermässig vorhanden, mal knapp bemessen, ist er ein knallharter Wirtschaftsfaktor und ebenso ein Stoff, aus dem die Wintermärchen sind.

Die drei kantonalen Museen haben sich zusammengetan, um einen alltäglichen Stoff neu zu beleuchten. Es sollte keine vom Schreibtisch aus konzipierte Ausstellung werden. Deshalb liessen sich die drei Ausstellungsmacher auf der Alp Flix einschneien, stapften durch den Schnee und badeten das Auge in der weissen Pracht.

Das Bündner Kunstmuseum, das Naturmuseum und das Rätische Museum zeigen das äusserst vielfältige Phänomen Schnee aus ihrem eigenen Blickwinkel. Jedes Museum beschränkt sich in seiner Ausstellung auf sechs thematische Schwerpunkte, so genannte Module, welche fachlich fundiert dargestellt werden. Dabei werden besonders überraschende Aspekte herausgegriffen. Grundsätzlich geht es darum, die Wahrnehmung eines altbekannten Stoffes zu erweitern. Jede Ausstellung lässt sich einzeln be­suchen, ein Gesamtrundgang ermöglicht jedoch einen vertieften Einblick in das Phänomen «Schnee».

Die Ausstellungen beschränken sich bewusst auf den Schnee, Berge oder Gletscher sind nicht Thema. Räumlich konzentrieren sie sich auf den alpinen Raum. Mit Querverweisen wird auf die Ausstellungen in den ande­- ren Häusern aufmerksam gemacht.

Schwarzer Schnee
Das Bündner Kunstmuseum stellt Werke von 1850 bis heute aus. Gezeigt werden rund 70 Arbeiten aus der bildenden Kunst. Neben Druckgrafiken, Zeichnungen und Malereien sind Fotografien und Objekte zu sehen.

Zahlreiche Gemälde zeugen davon, wie unterschiedlich die verschneite Landschaft wahrgenommen wird. Ein wichtiges Thema für viele Maler ist die ver­meint­-lich weisse Farbe des Schnees. In einigen Arbeiten taucht das Phä­-nomen des schwarzen Schnees auf. Anderen Kunstschaffenden dienen Schneefelder als Ausgangspunkt für Abstraktionen. Zeitgenössische Objekte wie­derum gehen spielerisch-ironisch mit dem Schnee um. Zeichnungen nehmen die filigrane Struktur des Stoffes auf. Grossforma­tige Fotografien schliesslich beschäftigen sich mit der Snow-Event & Fun-Kultur.

Vertreten sind Werke von Künstlern aus dem alpinen Raum. Unter anderem von Cuno Amiet, Alexandre Calame, Otto Dix, Menga Dolf, Thomas Flechtner, Augusto und Giovanni Giacometti, Ernst Ludwig Kirchner, Roman Signer, Ilse Weber, Marianne von Werefkin und andere mehr.

Schnee ist machbar
Das Rätische Museum beschäftigt sich mit der wechselnden Einstellung des alpinen Menschen zum Schnee. War der Winter früher Zeit der Erholung, so ist die Winterzeit heute für den Tourismus die Hauptsaison und der Schnee ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Schnee auf der Strasse stellt ein lästiges Übel dar, fehlt er hingegen auf der Piste, wird er mittels modernster Technologie produziert.

Mit der Einstellung zum Schnee haben sich auch die Berufsbilder geändert – aus dem Ruttner wurde der Ratracfahrer – und das Maiensäss ist heute eine hippe Schneebar.

Im Modul «Schnee gibt Arbeit» wird nachgezeichnet, dass der Schnee einerseits lästig, ande­rerseits aber auch Produktionsgrundlage für den Tourismus ist. Das Modul «Schnee macht Wege» zeichnet die entstandenen Wege zuzeiten des Saumverkehrs nach. Mit der tödlichen Seite des Schnees beschäftigt sich das Modul «Schnee bringt um»: Es geht um Lawinen, Schutzbauten, Schutzgeräte und Schutzwälder.

«Schnee bestimmt Rhythmen» stellt die Jahreszeiten im Schneeland dar. «Schnee ist machbar» beschäftigt sich mit Schneeanlagen und Schneekanonen. Und die Wörterwand «Schnee hat viele Namen» schliesslich zeigt, dass Schnee nicht gleich Schnee ist, sondern auch als Sinnbild stehen kann.

Schnee gibt warm
Das Bündner Naturmuseum widmet sich der Wirkung des Schnees auf Lebewesen und Landschaft. Für die einen Tiere bedeutet der Schnee überlebenswichtiger Schutz, für die anderen ist er eine Bedrohung. Jede Tierart hat ihre eigene Strategie im Umgang mit Schnee: Die einen wechseln ihr Fell, so der Schneehase und der Hermelin, die anderen ziehen in wärmere Gefilde.

Die Module im Bündner Naturmuseum werden grösstenteils dreidimensional umgesetzt.

Dabei kommen unter der Schneedecke durchaus überraschende Aspekte ans Tageslicht. Bei­spielsweise: Schnee gibt warm. Viele Lebewesen können nur in Schnee­regionen überleben, weil sie die isolierende Wirkung von Schnee vor der Kälte schützt. Birkhühner lassen sich einschneien, Bären verbringen ihre Winterruhe in Schneehöhlen und Feldmäuse bauen Tunnels unter der Schneedecke.

Neu dürfte auch der Aspekt sein, dass Lawinen nicht nur Tod, sondern auch Leben bringen. Aus menschlicher Sicht sind sie primär vernichtend. Aus naturkundlicher Sicht schaffen sie aber neuen Lebensraum. In den so genannten Lavinaren, den baumfreien Sturzbahnen der Lawinen, finden Huftiere viel mehr Nahrung als im angrenzenden Wald. Hier gedeihen auch lichtbe­dürf­tige Pflanzen. Lavinare sind gute Weideplätze für das Vieh und ertragreiche Wildheumähder. Durch Lawinenverbauungen wird der Natur indes viel von ihrer Dynamik genommen; immer mehr baumfreie Standorte werden wieder zu Wald.

Von Koks und Iglubauten
Zu den umfangreichen Ausstellungen erscheint ein Begleitbuch, welches sich vertieft mit dem Thema auseinandersetzt. Die wissenschaftlichen Artikel, Berichte und Reportagen greifen weitere Aspekte rund um den Schnee auf. Für Kinder wurde zudem ein spezielles Schneebüchlein gestaltet, mit dem sie die Ausstellungen selber entdecken können.

Zahlreiche Veranstaltungen umrahmen die drei Ausstellungen. So findet in der Stadtgalerie eine Filmschau unter dem Titel «Schnee- und Eisrevue» statt. Das historische Filmmaterial aus den Jahren 1920 bis 1960 wurde von den beiden Kuratoren Luciano Fasciati und Armon Fontana zusammengestellt.

Das eigentliche Rahmenpro­gramm zu den Ausstellungen ist wiederum breit gefächert und will einen Gegenimpuls geben. Auf dem Programm stehen unter anderem die Tanztheateraufführung «Reise im Winter», die Lesung «Koks, der besondere Schnee» oder als Abenteuer für alle: Iglu bauen.

Die Ausstellungen «Weisse Wun­derware Schnee» dauert vom 19. November 2004 bis 27. Februar 2005. Die Museen sind jeweils von Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet.

 

«Schnee hat viele Farben»

Isabelle Chappuis, Bündner Kunstmuseum, Konservatorin, Verantwortliche der Kunsthaus-Ausstellung.

Frau Chappuis, freuen Sie sich auf den Schnee?

Ja, ich freue mich jedes Jahr wie ein Kind auf die ersten Schneeflocken. Da werde ich jeweils ganz nervös.

Was freut Sie besonders an Ihrer Ausstellung?

Ich freue mich darauf, wenn die Ausstellung steht! Dann freue ich mich auf den Dialog zwischen den Werken. Ich werde versuchen, alte und neue Werke zusammenzustellen, sodass ungewohnte Vergleiche und Spannungen entstehen. Normalerweise folgen die Ausstellungen ja eher einem chronologischen Ablauf. Hier möchte ich alt und neu aufeinander prallen lassen; darauf freue ich mich und darauf, wie die Leute reagieren.

Was ist das Überraschende an Ihrer Ausstellung?

Schnee assoziiert man ja immer mit Weiss. In der Kunst ist der Schnee aber in den wenigsten Fällen nur weiss, da hat es wahnsinnig viele Farben.

Ausserdem bin ich in verschiedenen Werken auf schwarzen Schnee gestossen – was es damit genau auf sich hat, möchte ich an dieser Stelle aber noch nicht verraten.

Wie kann Ihre Ausstellung die Wahrnehmung von Schnee verändern?

Schnee wird von den verschiedenen Künstlern ganz verschieden angegangen und es wird sicher Aspekte darunter geben, an die man noch nie gedacht oder die man noch nie wahrgenommen hat.

Vielleicht achtet man plötzlich auf die Farbigkeit des Schnees oder auf seine Konsistenz.

Das würde ich mir wünschen, dass man vielleicht zweimal hinschaut, wenn man das Museum verlässt.

Für wen ist Ihre Ausstellung?

Die Ausstellung ist für alle. Für solche, die auf Schnee spezialisiert sind, wie auch für solche, die nichts mit Schnee zu tun haben. Für Kinder wie für Erwachsene. Für Kinder haben wir ein kleines Buch zusammengestellt, mit dem sie die Ausstellung entdecken können.

Das ist ja das Spannende an der Ausstellung, dass man den Besuchern etwas bringt, was sie schon kennen. Man muss es eben so bringen, dass sie es doch wieder neu entdecken.

 

«Es wird eine grosszügige Ausstellung»

Jürg Paul Müller, Direktor Bündner Naturmuseum.

Herr Müller, freuen Sie sich auf den Schnee?

Ich freue mich jedes Jahr auf den Schnee und mag es sehr gerne, dass ich die Jahreszeit über den Schnee spüre. Ich habe ein paar Jahre in Afrika gewohnt und da ging es auch ohne – aber grundsätzlich freue ich mich sehr darauf.

Was freut Sie besonders an Ihrer Ausstellung?

Dass die drei Museen eine Ausstellung zusammen machen. Ich fühle mich somit nicht so unter Druck, dass ich sehr viel Material aufarbeiten müsste, weil der Besucher drei Orte besuchen kann. Eine wunderbare Möglichkeit, die Aussagen, die man weitergibt, schön zu inszenieren. Es wird also eine grosszügige Ausstellung geben.

Was ist das Überraschende an Ihrer Ausstellung?

Die Überraschung kommt von den verschiedenen Sichtweisen. Sicher ist es für jemanden, der sich beispielsweise vor allem mit Kunst beschäftigt, überraschend, einen Schneekristall unter dem Elektronenmikroskop zu sehen. Das ist ein wunderbares, ästhetisch hoch attraktives Bild.

Es gibt zwei Ebenen der Überraschung: die eine ist die der verschiedenen Sichtweisen, die andere ist die Auswahl der Themen, beispielsweise «Neues Leben dank Lawinen».

Stiessen Sie auch auf Schwierigkeiten bei den Vorbereitungen?

Nicht unbedingt Schwierigkeiten. Aber von der Vorgehensweise ist es so, dass alle drei Museen ganz anders arbeiten: Das Rätische Museum sichtet vorwiegend Material, das schon vorhanden ist. Das Kunstmuseum muss sich darum bemühen, die Werke, die es ausstellen will, zu bekommen. Und wir müssen eigentlich alles, was wir ausstellen, zuerst machen, präparieren, installieren. Unser Präparator ist zum Beispiel heute nach Zernez gefahren, um noch ein paar tote Schneehühner zu holen.

Für wen ist Ihre Ausstellung?

Die Ausstellung ist sehr breit gemacht und somit für Kindergärtner wie auch für 90-jährige Senioren geeignet. Die Texte sind einfach geschrieben, es gibt viel anzuschauen und auch ein paar interaktive Sachen.

Ich denke, alle können etwas daraus nehmen: Kinder können sich an einem Schneehasen freuen oder eine Frau an der wissenschaftlichen Erklärung, weshalb die Hasen nur bei einer bestimmten Tag- und Nachtlänge das Fell umfärben. Man kann nur am Schneehasen alleine Freude haben – oder an beidem.

 

 

«Wir zeigen nicht das, was man erwartet»

Jürg Simonett, Direktor Rätisches Museum.

Herr Simonett, freuen Sie sich auf den Schnee?

Teils, teils. Ich gehe zum Beispiel sehr gerne schlitteln oder Schneeschuh laufen, das ist schön. In Chur selber finde ich den Schnee eher lästig.

Was freut Sie besonders an Ihrer Ausstellung?

Dass ich die Ausstellung mit den andern zwei Museen zusammen machen kann. Das ist etwas ganz Neues. Dann freue ich mich darauf – oder hoffe es wenigstens, dass die Besucher und Besucherinnen verblüfft sind. Man hat ja eine gewisse Vorstellung vom Rätischen Museum. Das, was wir ausstellen, entspricht dieser Vorstellung nur bedingt. Vor dem Museum steht zum Beispiel ein Ratrac und im Garten wird eine Schnee­schleu­der von 1965 stehen. Die ausgestellten Objekte sind nicht unbedingt die gewohnten.

Was ist das Überraschende an Ihrer Ausstellung?

Man sieht sehr schön, dass sich die Haltung zum Schnee in verschiedenen Bereichen sehr verändert hat. Nehmen wir das Beispiel Verkehr: Früher war der Winter für den Verkehr eine gute Zeit. Mit dem Schlitten zog ein Pferd viel mehr Gewicht als es auf einem Saumweg trug. Die Bauern hatten auch mehr Zeit, um Waren zu transportieren. Heute ist der Winter für den Verkehr eine schlechte Zeit. Kaum fällt ein Schnee­flöckchen, muss man Schwarzräumen, der Schnee muss weg. Das Verblüffende sind also die verschiedenen Haltungen zum Schnee, die sich im Laufe der Zeit in den einen Bereichen vom Positiven ins Negative verkehrt haben und in anderen wiederum vom Negativen ins Positive.

Für wen ist Ihre Ausstellung?

Für alle, die mit Schnee zu tun haben – und somit für alle. Das ist der Vorteil dieses Themas: Da können alle etwas dazu sagen. Wir hier in Graubünden sind ja dazu prädestiniert, eine solche Ausstellung zu machen. Wollte sie jemand im Aargau machen, würden wir sagen, das dürfen die gar nicht.


zurück