Kultur

Wasserlandschaft auf dem Rossboden - eine ansteckende Vision

Mitte Dezember letzten Jahres wurde durch den Churer Seeverein das visionäre Projekt einer Wasserlandschaft auf dem Rossboden vorgestellt. Erste Vorstudien dazu werden in diesem Sommer erarbeitet und im September der Öffentlichkeit präsentiert.

«Was in Chur noch fehlt, ist ein See» – dieser Wunsch ist uralt und die Idee, den Rossboden dafür unter Wasser zu setzen, auch. Ansätze dazu gab’s schon einige Male. Sie versickerten aber im kieshaltigen Untergrund der Oberen Au ebenso schnell wieder. Die heutige Vision hat die ersten Tropfen aufgefangen.

Katalysator für die Entwicklung

Im Spätsommer letzten Jahres wollte es der Zufall, dass sich die ehemalige SP-Gemeinderätin Anna Ratti und der FDP-Grossrat Bruno Claus auf dem Prasserieweg begegneten und für einen Smalltalk innehielten. Anna Ratti wies dabei mit ausholender Handbewegung zum Rossboden hin: «Ein See dort unten, das wäre doch was?», worauf Bruno Claus trokken meinte: «Ja, das machen wir.»

Anna Ratti präsidiert heute den Churer Seeverein, Bruno Claus ist Vorstandsmitglied wie auch SVP-Gemeinderat Reto Lardelli, die ehemalige La Verda-Gemeinderätin Eva Ködderitzsch und Architekt Jon Domenig. Die aus verschiedenen politischen Lagern und Interessengruppen zusammengesetzte Vereinsführung und -mitgliedschaft ist einer Meinung: Irgendwann wird die Zeit kommen, da der Rossboden brach liegt. Durch die provokative Vision einer Wasserlandschaft hinterfragt der Verein die zukünftige Rolle des Rossbodens für die Stadt Chur grundsätzlich und stellt ihn als potenziellen Katalysator für die Entwicklung der Stadt hin. Demnach könnte das Gebiet mittels einer künstlichen Wasserlandschaft zu einem attraktiven Naherholungsgebiet aufgewertet werden.

«Es ist wichtig», so Bruno Claus, «dass jetzt damit begonnen wird, ein seriöses, durchdachtes und von der Politik und der Bevölkerung breit abgestütztes Projekt zur Gestaltung und Nutzung des Rossbodens an die Hand zu nehmen, mit dem Ziel einer hohen Wertschöpfung.» In die Überlegungen gehöre aber auch die heute bestehende Gewerbe- und Industriezone an der Peripherie des Rossbodens, wo auch in Zukunft wirtschaftliche Bedürfnisse von Chur und der Region aufgefangen werden könnten.

Vorstudien laufen

Beim Churer Seeverein wird das ganze Vorhaben zwar vertieft angeschaut, Hast ist allerdings keine angesagt. Man spricht höchstens von einer möglichen Realisierung in 10 bis 20 Jahren. «Bewusst», sagt Bruno Claus, «denn einerseits wollen wir die Sache differenziert durchdenken, andererseits gehört das Gebiet dem Bund und wird durch das Militär genutzt. Wir wollen die Armee nicht vertreiben und auch die Arbeitsplatzerhaltung in unserem Kanton ist für uns wichtig.» Die Armee und ihre Infrastrukturen seien heute im Wandel und man könne nicht mehr sagen, dass die Nutzung des Rossbodens in den nächsten fünfzig Jahren gleich bleiben werde. Die Dimension des Vorhabens, das in der Schweiz als grösstes in einem Siedlungsgebiet gilt, erfordert gründliche Vorarbeiten. Weil dabei verschiedene wissenschaftliche Disziplinen (Wasser, Ökologie, Ökonomie etc.) involviert sind, wurde durch den Vorstand des Seevereins der Kontakt zur ETH Zürich gesucht.

Die Professur Girot des Instituts für Landschaftsarchitektur hat die Idee aufgegriffen. Seit Anfang April beschäftigen sich zehn Architekturstudentinnen und -studenten während eines Entwurfssemesters mit dem Gebiet des Churer Rossbodens unter dem Thema «waterscapes». Sie versuchen verschiedene Fragen zu lösen wie z. B.: Wie sieht diese zukünftige Landschaft aus? Inwiefern beeinflusst sie die städtebauliche Entwicklung und das Leben der Stadt Chur, einer Stadt, die nie als Stadt am Wasser wahrgenommen wurde? Ihre Aufgabe ist es, die Antworten, die unterschiedlichsten Stimmungen und räumlichen Qualitäten auf dem Rossboden – die ein grosses Potential an Attraktivität beinhalten – in landschaftsarchitektonische Entwürfe umzusetzen. Sie sollen durch respektvollen Umgang mit dem landschaftlichen Erbe überzeugen und das Gebiet in seiner Funktion als vielfältiges Naherholungsgebiet und wertvollen Naturraum stärken. «Die Studierenden entdecken auf ihren Besichtigungstouren gerade durch ihr offenes und – im positiven Sinne – naives Herangehen spezifische Charaktere des Ortes», erklärt Martina Voser, Assistentin von Professor Christophe Girot. Sie ist auch überzeugt, dass die visionären Neuinterpretationen der Studenten aufgrund ihrer gedanklichen Schärfe und der inhaltlichen Dichte der Stadt Chur eine neue landschaftliche Identität verleihen können.

Wegweisende Entwürfe

«Über die Zusammenarbeit mit der ETH sind wir natürlich sehr erfreut», unterstreicht Anna Ratti, Präsidentin des Seevereins, «entstehen doch daraus wichtige Impulse für die Stadt Chur und die Region.» Die fünf Entwürfe können Churerinnen und Churer von Mitte bis Ende September in der Stadtgalerie an der Poststrasse begutachten. «Damit wollen wir bewusst die Diskussion unter der Bevölkerung anregen und den Leuten auch die Möglichkeit geben, sich über die Entwürfe und das Projekt generell zu äussern». Die Arbeiten der ETH-Studenten haben noch einen weiteren Grund. Obwohl die «ansteckende Vision» einer Wasserlandschaft auf dem Rossboden am Anfang eines langen und noch unüberblickbaren Weges steht, bilden die Studien wertvolle Grundlagen für das weitere Vorgehen. Die Entwürfe, so Bruno Claus, könnten dereinst zum Auftrag einer Machbarkeitsstudie führen. «Erst wenn diese in jedes Detail reichende Arbeit zu einem positiven Ergebnis über die Realisierbarkeit des Projektes kommt, kann man sagen: Jetzt sehen wir einen Horizont – jetzt kann’s losgehen.»

CHURER SEEVEREIN
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