Stefan Bühler Saure GurkenDas mediale Zeitalter hat seine eigenen Jahreszeiten. Zu
den wichtigsten zählt zweifellos die so genannte Sauregurkenzeit.
Ihr haftet zwar der Ruf der Lückenbüsserin an, schliesslich
muss sie nicht selten als journalisitische Übergangsperiode von der
Frühlingsmüdigkeit zur Herbstdepression herhalten. Aber eben
nicht in jedem Fall. Nicht selten führt die Sauregurkenzeit –
die vom 15. Juli bis 15. August dauert – zu kreativen Rülpsern,
wie sie das Jahr hindurch nicht möglich sind. Infolge Mangel an Fertigprodukten
aus PR-Küchen und Verwaltungsstellen werden jene Fragen thematisiert,
die das auch verdient haben. Das gilt sowohl für das Fernsehen wie
für die Zeitungen. Selbstverständlich ist auch ein neuer Fernseher
nur ein Apparat, der vorwiegend alte Geschichten wiederholt oder im besten
Fall aufwärmt, und die Zeitungen verpassen die Aktualitäten
von vorgestern, um visionär zu scheinen. Dazwischen aber ist Platz
für eine kreative Phase, bekannt eben als Sauregurkenzeit. Der Begriff
kommt nicht von sauren Gurken, auch wenn die zur Zubereitung benötigten
Einlegegurken im Hochsommer geerntet werden. Ursprung ist die jiddische
Zóres- und Jókresszeit, die «Zeit der Not und der
Teuerung». Die Affinität zwischen dem Churer Welschdörfli
und der herrschenden Sauregurkenzeit ist durchaus gegeben, geht doch die
Verballhornung des Begriffs auf das Rotwelsch zurück. Und bekanntlich
ist auch das Rotwelsch eine Gaunersprache, wie man sie auch in der näheren
Umgebung des Welschdörflis kennt. Chur ist die älteste Stadt nördlich der Alpen mit über 5000 Jahren Siedlungsgeschichte. Eine Tafel an der Autobahn weist darauf hin. Damit wäre auch die Frage beantwortet, ob es eine Marketingorganisation braucht. Ohne Organisation keine Tafel und ohne Tafel kein Beweis. Auch wenn die Solothurner den Titel gerne streitig machen, solange sie keine Tafel haben, sollen sie es damit bewenden lassen, dass sie unbestreitbar die schönste Barockstadt der Schweiz haben. Einfach nicht die älteste. Damit bleibt noch die wichtigste Sommerloch-Frage unbeantwortet, nämlich die denkmalpflegerische bezüglich der roten Informationstafeln an ehrwürdigen Fassaden wie dem Regierungsgebäude. Seit es ein Churer Journalist gewagt hat, diese Frage überhaupt zu stellen, wartet er schon sehnlich auf das Ende der Sauregurkenzeit, welches glücklicherweise auch das Ende der kreativen Phase bringt und niemanden mehr dazu zwingt, Sommerlochfragen zu stellen. Man muss ja nicht laufend beweisen, dass der Unterschied zwischen Terroristen und Journalisten darin besteht, dass erstere noch über Sympathisanten verfügen. Stefan Bühler |