Weinen der Männer

Jetzt, wo sich der Rauch der Istanbuler Pedarden etwas verzogen hat, sollen jene Stimmen gehört werden, die im Kriegsgeheul untergingen. Etwa jene von Franz Josef Wagner von der Bild-Zeitung, selber sicher kein Weichei. Dass türkische Fussballer ein paar Schweizer gekloppt haben, kann Wagner begründen: «Fussball ist eine männliche Aktivität. Viele Frauen beklagen die Schweigsamkeit ihrer Männer. Hier haben Männer hemmungslos geweint nach ihrer Niederlage und in ihrer Verzweiflung geprügelt. Ich liebe den weinenden Mann. Der weinende Mann ballt seine Fäuste. Der weinende Mann erträgt es nicht, schwach zu sein. Die Schweiz wird an der Stelle der Türkei bei der WM spielen – ein Fels der Rechtschaffenheit. Ich langweile mich heute schon.»

Dass eine rechtschaffene Mannschaft nur deswegen an die WM darf, weil sie ein besseres Torverhältnis hat, ist schon eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit. Zu wenig werden andere sportliche Kriterien gewertet, etwa die polysportiven Fähigkeiten türkischer Mehrkämpfer. Insbesondere das Fahnenstangenwerfen von den Rängen, Eiertütschen mit dem Mannschaftsbus und wo möglich auch mit dem Gegner, Thai-Boxen in der Kabine, Ringen, Schwingen und Veilchensetzen sowie das ebenfalls beliebte Harnröhrentreten.

Bei neutraler Bewertung dieser Kriterien müsste unbedingt die Türkei auf dem Berufungsweg an die WM in Deutschland eingeladen werden. Damit die befürchtete Langeweile mit den Schweizern gar nicht erst aufkommt. Jetzt erweist es sich als Nachteil, dass die Fifa keine Kameras in den Katakomben und Garderoben installiert. Damit bleibt der Welt die Peepshow der hemmungslos weinenden Männer vorenthalten, sie muss sich mit Hugglers Wadenbiss begnügen.

Die Szenarien, die in Deutschland keine Langeweile aufkommen lassen, liegen auf der Hand. Ein Tritt in den Unterleib von Jürgen Klinsmann hilft mehr als alles Flehen, er möge weniger bei seiner Frau in den USA weilen und sich mehr um die Mannschaft kümmern. Ein kleiner Nierenriss für Ballack beendet das tägliche Gerücht um den Millionenpoker, und mit einem Gnadenerlass für Schiedsrichter Robert Hoyzer-Korruption könnten die WM-Spiele die Frauen zum Schweigen bringen.

Sport ist Mord, das war einmal. Churchill auch. Nur keine Langeweile aufkommen lassen, da hat der Bild-Kolumnist schon recht. Was heisst das schon, dass Natascha Badmann zum sechsten Mal die Ironman-WM auf Hawaii gewonnen hat? Der Sämi macht doch deswegen nicht Duzis mit ihr. Schon lieber mit Tom Lüthi. Töff- und Autorennen sind ja vor allem deswegen langweilig, weil immer einer den schnelleren Motor hat. Interessant wird es erst, wenn einer stürzt oder den andern abschiesst. Vollkommen sportlichlegal natürlich.

Bei einem anderen WM-Ausscheidungsspiel gab es dann die weinenden Mütter, die ihre Söhne auf dem Schlachtfeld verloren. 1969 kam es bekanntlich zwischen El Salvador und Honduras nach Ausschreitungen beim Fussball-Länderspiel zum Krieg mit mehreren Tausend Toten. Heute ist das zwischen der Türkei und der Schweiz nur mehr theoretisch möglich, da beide Länder ein Beitrittsgesuch zur EU deponiert haben. So wie die Griechen und Türken in Zypern auch nicht mehr Krieg führen dürfen. Wobei eher die weinende Türkei in 15 Jahren der EU angehört als die langweilige Schweiz. Auch ohne Blatters Bannstrahl fehlen die Türken an der EM in der Schweiz und der WM in Deutschland. Es ist das Verdienst der Schweizer, die Türken am Bosporus gestoppt zu haben. Das hatten die Habsburger mit ihren sieben Türkenkriegen so nicht geschafft.

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