Gesetz-Los
Es ist unvermeidlich, dass wir manchmal mit dem Gesetz
in Konflikt geraten. Besonders ärgerlich ist es, wenn man nach Frühlingsbeginn
dafür bestraft wird, weil man mit gefrorener Autoscheibe erwischt
wird. Unsere Gesetze sollten sich etwas mehr an den Jahreszeiten orientieren,
nachdem jetzt definitiv feststeht, dass die Jahreszeiten sich nach niemandem
mehr richten. Aprilwetter und Weibertreu, das ist immer einerlei. Dringend
notwendig wäre ein anderes Gesetz, wie es in North Carolina gilt:
Falsches Singen in der Öffentlichkeit kann mit 17 Dollar bestraft
werden und in Wisconsin darf in Bars überhaupt nicht gesungen werden.
Allein in der Churer Bahnhofstrasse wären die Bussgelder bedeutend
höher als die Einnahmen der Sänger und Musikanten.
Wer sich gar im Staate Mississippi über die Architektur von öffentlichen
Bauten lustig macht, begeht bereits eine strafbare Handlung. Ein solches
Gesetz fehlt uns leider. Die Kommentare über den DDR-Plattenbau für
das neue Stadtbauamt an der Masanserstrasse wären dann gebührenpflichtig.
Auch das Kopfschütteln über die als Pissoirs getarnten Atombunker,
die den schönen Blick auf die Altstadtmauern versperren, könnte
gebüsst werden. Niemand hat gesagt, für den Bau der öffentlichen
Toiletten müssten die Pläne des gescheiterten Kanti-Neubaus
beigezogen werden. Anstelle dieser Beleidigung für das Auge hätte
man sich doch besser an Shakespeares Hamlet gehalten: «Mehr Inhalt,
weniger Kunst».
Überhaupt lohnt sich der Blick auf die amerikanischen Gesetze, auch
wenn sich nicht alle auf unsere Verhältnisse übertragen lassen.
Vergleiche sind dennoch zulässig. So dürfen in Alabama im Falle
einer Scheidung die Frauen allen Besitz, den sie vor der Hochzeit hatten,
behalten. Dies gilt ausdrücklich nicht für Männer. Bei
uns ist das ähnlich. Nur dürfen die Männer auch den Besitz,
den sie während der Ehe erworben haben, nicht behalten. «Früher
litten wir an Verbrechen, heute an Gesetzen », wusste schon Gaius
Cornelius Tacitus.
Restriktionen, wie wir sie nicht kennen, sieht ein Gesetz in Arcansas
vor: Ein Mann darf seine Frau verprügeln, solange er dies nicht öfter
als einmal im Monat tut. Einschränkungen anderer Art gibt es in Alabama:
Männer dürfen ihre Frauen nur verprügeln, wenn sie einen
Stock dazu benutzen, der nicht länger ist als ihr Daumen. Wir gehen
da weiter, wir haben ein Gleichstellungsgesetz. Davon wusste Otto von
Bismarck noch nichts, als er feststellte: «Wer weiss, wie Gesetze
und Würste zustande kommen, der kann nachts nicht mehr ruhig schlafen.»
Oft sind die Unterschiede kaum zu erkennen. In Chicago etwa darf man Alkohol
nicht im Stehen trinken. Im Churer Welschdörfli darf man Alkohol
trinken, bis man nicht mehr stehen kann. Als eine Frau aus der kanadischen
Provinz Neuschottland, die am Flughafen für Touristen Dudelsack spielte,
die damalige Swissair auf Schadenersatz verklagte, da der Absturz einer
Maschine ihren Tagesumsatz schmälerte, fand sie kein Gehör.
Wenn bei uns ein Churer Richter grundsätzlich die Parkbussen der
Stadtpolizei vernichtet ohne zu bezahlen, dann findet wenigstens er Gehör.
Gnade vor Recht muss sein. In Alabama ist es Autofahrern verboten, während
der Fahrt eine Augenbinde zu tragen. In Chur ist es der Justiz erlaubt,
auf einem Auge blind zu sein, wenn Richter ihre Bussen nicht bezahlen.
«Brauch bricht Gesetz», sagt schon ein jüdisches Sprichwort.
Macht nichts. Bob Dylan hat Verständnis für unseren Richter:
«Um ausserhalb des Gesetzes zu leben, musst du ehrenwert sein»,
singt Bob Dylan in Absolutely Sweet Marie. So hat jedes Land seine Gesetze,
die es verdient. Und auch seine Richter.