Miss Erfolg
Amanda Ammann aus Abtwil ist also die rechtmässige Nachfolgerin von Christa Rigozzi als Miss Schweiz. Das Fernsehpublikum wollte es so und die Mehrheit hat immer Recht. Hallo Amanda, verletzt es dich, wenn Leute dein Lachen als «Pferdegebiss » abtun? Das war die erste Frage im Blick-Chat und es fällt einem wie Schuppen aus den Haaren: Tatsächlich, besser wäre es gewesen, die neue Miss Schweiz hätte sich an die Konventionen gehalten und Krokodilstränen vergossen. Hat sie aber nicht. Es wäre halt «ihr grösstes Lachen auf dem Gesicht» gewesen, erklärt die neue Königin sprachlich nicht ganz korrekt. Da aber Desperate Housewives (verzweifelte Hausfrauen) zu ihrer TV-Lieblingsserie zählt, verzeiht man Amanda ihr Lachen mitsamt der Begründung. Warum kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in den letzten Jahren die jeweils Zweitplatzierten dem Titel viel näher standen als die Gewinnerinnen? Weil es nicht mehr um Schönheitsköniginnen geht, gekürt wird jeweils die eierlegende Wollmilchsau. Es geht eben auch um den Nutzwert und nicht nur um eine visuelle Wohltat. Xenia Tchoumitcheva und Sabrina Knechtli sind Beispiele für zweitplatzierte Augenweiden. Es soll aber partout nicht mehr vorkommen, dass im Zusammenhang mit dieser Wahl von einer Miss-Bildung gesprochen wird wie bei der Aargauerin Jennifer Ann Gerber. Ist ihr halt passiert, dass sie nicht wusste, wie der Aussenminister heisst oder der Hauptort von Baselland. Inzwischen weiss man ja auch nicht mehr, wer Jennifer Ann Gerber ist. Etwas missraten auch die Antwort von Mahara McKay, der Miss Schweiz 2000, die ausschaut wie Paris Hilton in braun. Wie ist so das Leben als Königin? «Arschgeil», sagte sie und meinte wohl «affengeil». Auf’s sprachliche Glatteis begab sich dann Miss Schweiz 2003, Bianca Sissing: «Ich bin in Kanada aufgewachst.» Wenn Céline Dion 1988 als Franco-Kanadierin für die Schweiz den Eurovisionswettbewerb gewinnen kann, warum soll nicht eine englischsprachige in Kanada aufgewachste Schönheit, die keine Landessprache beherrscht, die Schweiz repräsentieren? In Deutschland gibt es seit 100 Jahren die Wahl der Miss Germany. Die Nationalsozialisten sorgten für einen Unterbruch der Misswahlen, weil sie als Symbol der Dekadenz der Weimarer Republik galten. Eva Herman müsste sich das Thema merken, die Welt wartet auf das Buch «Das Eva-Missprinzip ». Auch die DDR verbot Misswahlen und begründete dies mit der «Erniedrigung der Frau durch den Kapitalismus ». Für ein zeitweises Ende der Misswahl sorgte dann gerade dieser Kapitalismus mit einer seiner Segnungen: der Konkurs der Strumpfmarke Opal, welche die Wahlen nach dem Krieg organisierte, bedeutete 1962 auch das Ende für die Miss Germany. Ein Konkurs steht auch am Anfang vom Ende der Organisation für die Miss Südostschweiz. Weil ein Sponsor aussteigt und ein anderer den Laden dicht machen muss, fehlen dem bisherigen Initianten Walter Gross die Mittel und er wirft nach der 15. Austragung das Handtuch. Oder sagt man in diesem Zusammenhang den Slip? Jedenfalls sind es missliche Zeiten für Misswahlen. Es fehlen Geld und Grütze, nur an Schönheiten mangelt es nicht. Beim Nachwuchs jedenfalls herrscht kein Miss Trauen, auch wenn man fast jedes Jahr feststellen muss: diese Wahl ist wieder einmal gründlich Miss Lungen. Missen sind dennoch gut und notwendig für die Werbung. Sogar dann, wenn das aktuelle Schönheitsideal von einem Fernsehpublikum bestimmt wird, das frei von Sachverstand entscheiden darf. Die Werbung braucht die Missen und umgekehrt. Für einmal müssen wir dem griechischen Philosophen Sokrates widersprechen. «Wie viele Dinge es doch gibt, die ich gar nicht brauche!», sagte der körperlich unattraktive Grieche. Ganz frei von Miss Gunst.