Das Ende der Ohrfeige
Der Zeitpunkt ist gut gewählt: Kurz vor dem Fest der Liebe kommt eine nationalrätliche Kommission zum Schluss, dass auch in der Schweiz die Zeit der versohlten Hintern der Vergangenheit angehören soll. Gesetzlich soll verboten werden, was schon in sechzehn andern europäischen Ländern untersagt ist: Die körperliche Bestrafung von Kindern. Dass Erwachsene nicht geschlagen werden dürfen – wenn sie nicht ausdrücklich dafür bezahlen – geht bereits aus dem Strafgesetzbuch hervor. Nun werden also der «Chlapf» auf die Pampers, die gewöhnliche Kopfnuss und die Ohrfeige abgeschafft. Ausgerechnet die Ohrfeige, die noch nie jemandem geschadet hat, ist man versucht einzuwenden. Praktizierter Alltag ist das allemal, seit die antiautoritäre Erziehung diesen gewaltigen Schiffbruch erlitten hat, der aus den Kindern der damaligen Kuschelpädagogik die heutigen schlagfertigen Eltern hervorgebracht hat. Als sie zur Schule gingen, begrüssten sie den Lehrer jeden Morgen mit den Worten: «Müssen wir heute schon wieder machen, was wir wollen?» Das blieb nicht ohne Folgen. Die Tyrannei der Erwachsenen über die Kinder wurde abgelöst durch die Tyrannei der Kinder über die Erwachsenen. Und nun will man diesen Eltern ausgerechnet jenes Erziehungsmittel aus der Schlaghand nehmen, das sie einst selbst schmerzlich entbehren mussten. Sie sollen sich ausschliesslich auf Methoden beschränken, denen das Attribut der seelischen Grausamkeit anhaftet. Etwa Hausarrest für minderjährige Mädchen während der Trainingszeit des Fussballvereins, Handyverbot im Unterricht oder gar Fernsehpause während des Nachtessens. Mit derartigen negativen Folgen müssen wir rechnen, sollte die Ohrfeige als Alternative tatsächlich verboten werden. Nicht einmal erwogen wird eine Zwischenlösung, wie etwas im Strassenverkehr. Die «Ohrfeige light» mit Tempolimit käme jenen praktizierenden Eltern entgegen, über welche die Statistik sagt: Jährlich werden 44 300 Kinder geohrfeigt, 68 500 an den Haaren gezogen und 103600 auf den Hintern geschlagen. Diese Norm lässt sich vermutlich durch ein einfaches Handyverbot nicht so rasch ablösen. Allen Einwänden zum Trotz müssen wir uns wohl damit abfinden, dass die Ohrfeige strafbar und nicht mehr als Erziehungsmittel anerkannt wird. Oder gar als Lehrmittel wie etwa im späten Mittelalter. Da wurde bei Grenzumgängen den Knaben an bestimmten Stellen eine Ohrfeige verpasst, damit sie sich die Lage der Grenzsteine merkten. Daher auch die Redewendung «sich etwas hinter die Ohren schreiben». Statt Ohrfeigen haben wir bei der Grenzziehung heute Google-Earth und TomTom. Die Ohren behalten aber eine wichtige Funktion. Sie signalisieren weiterhin, dass sie trotz allem noch rot werden können. Wie arm wäre doch die Erinnerung an den ersten Kuss, wenn man sich die Ohrfeige dazu wegdenken müsste. Oder im besten Fall passiert es auch umgekehrt. Jedenfalls hat das Johann Wolfgang von Goethe in Dichtung und Wahrheit so gesagt: «Ich, der ich immer gehört hatte, auf die Ohrfeige eines Mädchens gehöre ein derber Kuss.» Das mag manchmal zutreffen, aber nicht immer. «Ich gestehe, ich habe zwei-, dreimal in meinem Leben einen Mann geohrfeigt. Allerdings hatte ich die Intelligenz, nur Männer zu ohrfeigen, die so gut erzogen und sanft waren, dass sie nie zurück geohrfeigt haben», sagte Alice Schwarzer. Zurückgeküsst hat vermutlich auch keiner. «Wer dich auf die rechte Wange schlägt, dem halte auch noch die andere Wange hin», sagt Jesus in der Bergpredigt. Das wusste auch Franz von Sales, als man ihn fragte, wie er bei einem Schlag auf die rechte Wange reagieren würde. Der Heilige antwortete lächelnd: «Mein Freund, ich weiss, was ich tun sollte, nicht, was ich tun würde.» Da ahnt man, weshalb er gleichzeitig der Schutzpatron der Journalisten und der Gehörlosen ist.