Schutzwürdig
Rauchen ist ein Ritual, um böse Geister, 
  wie zum Beispiel Nichtraucher, 
  zu vertreiben. Dieses Ritual wird zunehmend 
  erschwert. Etwa in Spanien, 
  wo das neue Nichtrauchergesetz Qualmen 
  auf öffentlichen Plätzen verbietet. 
  Wenn diese Nichtrauchertalibans 
  so weitermachen, gefährden sie den 
  letzten sozialen Zusammenhalt in unserer 
  Gesellschaft. Was sich heute 
  noch in jeder Gaststätte auf Rausund 
  Reinrennen zwischen den Gängen 
  und Häppchen reduziert, könnte 
  schon bald zu einer Fluchtbewegung 
  führen. Dann, wenn vor der Türe nicht 
  mehr gepafft werden darf.
  Das Rauchverbot auf Kinderspielplätzen 
  – irgendwie kann man das noch 
  verstehen. Unsere Kids sollen sich 
  die Sargnägel möglichst schnell abgewöhnen. 
  Selbst auf die Gefahr hin, 
  dass sie noch vor dem Schuleintritt 
  an Gewicht zulegen. Sie sollten nicht 
  zusätzlich vom Plausch im Dioxinsand 
  durch schlechte Vorbilder abgelenkt 
  werden. Für ihre Eltern war es schon 
  schwer genug, als sie im Kinderzimmer 
  neben dem Babyfon auch einen 
  Rauchmelder installieren mussten. 
  
  Raucher zählen zu den Minderheiten 
  und Minderheiten gelten als geil. Ihnen 
  gilt unser Schutz. Natürlich gibt 
  es zu denken, wenn Johannes Heesters 
  im Alter von 107 Jahren mit dem Laster 
  aufhört. Könnte aber sein, dass 
  ihm die Zigarette danach einfach 
  nicht mehr schmeckt wie früher. 
  
  Der alte Goethe wollte uns weismachen: 
  «Das Rauchen macht dumm, 
  es macht unfähig zum Denken und 
  Dichten. Es ist auch nur für Müssiggänger, 
  für Menschen, die Langeweile 
  haben. Die ein Drittel des Lebens 
  verschlafen, ein Drittel mit Essen und 
  Trinken und anderen notwendigen 
  oder überflüssigen Dingen hindudeln, 
  alsdann nicht wissen …, was sie mit 
  dem letzten Drittel anfangen sollen.» 
  Dieses Drittel – lieber Johann Wolfgang 
  – ist eben dem Genuss gewidmet, 
  auch wenn der Dichterfürst darin 
  eine «arge Unhöflichkeit und impertinente 
  Ungeselligkeit» zu erkennen 
  glaubte. Von wegen: Wo lernt man 
  denn noch Leute kennen, wenn nicht 
  auf der Strasse? Jetzt schon haben wir 
  die Zweiklassengesellschaft: Einerseits 
  die Raucher mit den besten Chancen, 
  ein zwischenmenschliches Gespräch 
  zu führen, anderseits die Langeweiler, 
  die mit sich selbst beschäftigt allein 
  an der Bar zurückbleiben. 
  
  Wehmütig denken wir zurück an Auftritte 
  mit den qualmenden Schriftstellern 
  Frisch, Dürrenmatt, Sartre und 
  Camus, die kaum unfähig zum Dichten 
  und Denken waren. Vorbei die 
  denkwürdige Szene in «Casablanca», 
  in der Bogart der schönen Bergmann 
  mit dem Glimmstängel aus rauchgeschwängerter 
  Kehle sein «Ich seh Dir 
  in die Augen, Kleines» zuraunte. 
  
  Heute verpflichten sich grosse Filmstudios, 
  ihre Streifen rauchfrei und 
  damit jugendfrei zu gestalten. Dieser 
  schöne Ansatz für belehrendes, nicht 
  verführendes Kino lässt sich problemlos 
  weiterentwickeln. Der nächste 
  Tatort kommt ganz ohne Täter aus, 
  weil Mord in der Regel auch der Gesundheit 
  schadet. 
  
  Wenn selbst der Film das Leben nicht 
  mehr widerspiegeln darf und die letzte 
  Freiheit im Freien eingeschränkt 
  wird, dann bewegt sich nichts mehr. 
  «Man sollte immer erst eine Zigarre 
  rauchen, ehe man die Welt umdreht», 
  meinte noch der deutsche Reichskanzler 
  Otto Graf von Bismarck, bevor 
  es ihm den Magen umdrehte. 
  
  Nur Winston Churchill wehrte sich 
  mit gutem Beispiel erfolgreich dagegen: 
  «Ein leidenschaftlicher Raucher, 
  der immer wieder von der Gefahr des 
  Rauchens liest, hört in den meisten 
  Fällen auf – zu lesen.» 
  
  Als Zeichen des kollektiven Protestes 
  könnten wir ja wieder mit dem Rauchen 
  anfangen. Eine kaputte Lunge, 
  der Kehlkopf draussen und die Beine 
  weg, das hört sich übertrieben an, 
  bedeutet aber gelebte Solidarität. 
  Nicht umsonst gibt es eine App für 
  die mobile Community namens Mitrauchzentrale 
  (MRZ), die über GPS 
  den Weg zur nächstgelegenen Nikotingruppe 
  Ihrer Wahl führt. Mit integrierter 
  Notrufnummer 144 im Falle 
  eines Kreislaufkollapses und 118 bei 
Brand.
Stefan Bühler