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Billy als Trendsetter

Geht es tatsächlich zu Ende mit dem Buch? Muss man bald einmal vom Zeitalter des Buchdruckes sprechen, das von Johannes Gutenberg bis zu Steve Jobs dauerte – also von 1468 bis 2011? Wer sich an der Frankfurter Buchmesse umschaute, hatte nicht unbedingt diesen Eindruck. Er liess sich aber täuschen von 400000 ausgestellten Büchern, von denen 80000 Neuerscheinungen waren.
Trotzdem kann auch Frankfurt nicht ganz verbergen, dass sich ein weiteres Geschäftsmodell nach der Musik-, Film- und Zeitungsbranche seinem Ende zuneigt. Modelle, die auf dem Verkauf von geistigem Eigentum basieren, funktionieren nicht mehr, sechzig Prozent der elektronischen Bücher werden schon jetzt illegal heruntergeladen. Und der grösste Buchhändler der Welt, Amazon, hat im letzten Monat mehr digitale Bücher als Printausgaben verkauft.
Wie verzweifelt muss die Branche sein, wenn ihre Highlights an der Messe aus vielen, vielen Peinlichkeiten bestehen! Charlotte Roche auf allen Kanälen und auf dem blauen Sofa – artig sitzend ohne Schossgebete, aber mit mehr Publikum als Dieter Moor und seine Gesprächspartnerin Alice Schwarzer. Und alles entlockt dem Zuschauer ein verschämtes Stossgebet, damit die Welt niveaumässig nicht ganz in den Feuchtgebieten versinkt.
Überhaupt rollt die Sexbuchwelle als Mittel zum Überleben der Branche, künftige Bestseller kann man sich lebhaft vorstellen. Sex sells, ja klar, nicht erst seit Charlotte Roche. Hätte Philipp Lahm sein Buch «Der Riesen-Unterschied» statt «Der feine Unterschied» genannt, die Gerüchte über die angebliche Homosexualität des putzigen Bayernspielers würden sofort verstummen. Andere Titel wie «Room Service» von Dominique Strauss-Kahn sind erst in Planung, während Jürg Gehrigs «Traumkampftage» vor vier Jahren herauskam. Im Fortsetzungstitel wird aus dem Traum dann wohl ein Albtraum.
Lebensbeichten bergen immer gewisse Gefahren, aber auch Chancen. Hätte der 73-jährige Showmaster Dieter Thomas Heck in seiner Biografie nicht erzählt, dass er einmal seine Frau töten wollte (Würgegriff schon angesetzt), wären ihm sicher nicht 15 Zuhörer treu geblieben. Und ein geborener Peter Siegfried Krausnecker, bekannter unter dem Namen Peter Kraus, fand besonderen Gefallen an seinem Buchtitel: «Für immer jung – Das Geheimnis meines Lebens.» Wie ein 72-jähriger zu solch einem Stuss fähig ist, dürfte sein Geheimnis bleiben. Einbildung ist ja auch eine Art Bildung. Überhaupt die Titel. Ein eigener Wettbewerb kürt jedes Jahr den kuriosesten Buchtitel. Zu den Gewinnern zählen in den vergangenen Jahren «Zehn Tipps, das Morden zu beenden und den Abwasch zu beginnen», «Das Leben ist keine Waldorfschule» und «Begegnungen mit dem Serienmörder. Jetzt sprechen die Opfer».
Der kurioseste Buchtitel des Jahres 2011 aber heisst «Frauen verstehen in 60 Minuten». Damit ist nicht gemeint, dass Frauen Dinge erst nach 60 Minuten verstehen. Es handelt sich mehr um eine Geschichte nach Vorbild von Mel Gibson im Film «Was Frauen wollen ». Nämlich, dass man sie nicht versteht, aber es wenigstens versucht. Zumindest während 60 Minuten.
Aber nicht die Buchmesse zeigt, wo es langgeht. Den ultimativen Beweis liefert vielmehr das schwedische Möbelhaus Ikea. Das Büchergestell und Erfolgsmodell Billy – seit über 30 Jahren unter Schweiss und Tränen in 41 Millionen Haushalten selbst installiert – erfährt eine entscheidende Änderung. Die bisher verkauften Billys würden aneinandergereiht zwei Mal die Erde umrunden, die darin aufbewahrten Bücher erreichten vermutlich aufeinander gestapelt den Mond. Und nun das: Statt der bislang 28 Zentimeter tiefen Regalböden werden diese künftig 39 Zentimeter tief sein. Damit nimmt Ikea das Ende der Bücherära vorweg. Billy wird nicht sterben, nur einem neuen Zweck zugeführt. Zur Aufbewahrung von E-Books, iPad, Rider, DVDs, CDs oder Gamekonsolen, aber nicht mehr für Bücher, weil diese aussterben werden.

Stefan Bühler

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