Stolz einer Nation
Nationalfeiertag und eine ganze Nation kann doppelt stolz sein. Sepp Blatter ist und bleibt die Nummer 1, Roger Federer ebenfalls. Im Ausland trieft der Neid und wir freuen uns noch mehr. Die kleine Schweiz, weltweit mit dem Label «number one» in den Schlagzeilen, da tritt selbst Wilhelm Tell in den Hintergrund. Obwohl er taktisch gleich wie Blatter vorging: Auch Tell hatte immer einen zweiten Pfeil im Köcher, für den Fall, dass sein Gegner nicht beim ersten Blatterschuss auf der Strecke blieb. Sepp Blatter schaffte seine letzte Wiederwahl locker im ersten Durchgang. Alle Freunde des Sports, die charakterlich gefestigt und reinen Herzens sind, muss es schmerzen, wenn der oberste Weltfussballer immer wieder mit Korruption in Zusammenhang gebracht wird. Kann er etwas dafür, dass sein Business im Gegensatz zu jenem von Roger Federer in Konferenz- und Hotelzimmern angesiedelt ist? Die Nummer 1 im Tennis bekommt seine Prämien in aller öffentlichkeit vor laufenden Kameras zugesteckt. Wie sollte das Blatter bewerkstelligen? Er kann ja nicht wissen, in welchen Hinterzimmern welche Checks gerade überreicht werden.
Sollte es doch einmal rauskommen, greift auch der Fussball-Weltverband durch. Ganze drei Jahre suspendiert wurden die beiden ertappten Delegierten Amos Adamu aus Nigeria und Reynald Temarii aus Tahiti. Mit dieser brutalen Abstrafung zeigt die Fifa, dass sie auch vor den Mächtigen nicht kuscht. Dabei hat doch gerade Adamu bei der Fifa eine wundersame Karriere hingelegt. Er brachte es vom Primarlehrer zum Multimillionär. Solche Tellerwäschergeschichten soll es nun nicht mehr geben, denn unser aller Sepp hat durchgegriffen. Der Reformator und Luther des Fussballs («hier stehe ich, ich kann noch ganz anders») setzt einen Ehrenkodex und eine Ethikkommission ein.
Vergleichbares haben wir nur mehr vorzuweisen mit der Ethikkommission der Schweiz für Forschung, der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin und der Ethikkommission für Tierversuche. Da konnte und wollte die Fifa nicht abseits stehen. Auch wenn sich deren Ethikkommission vorwiegend mit der dubiosen K-Frage beschäftigen wird, könnte sie ja auch noch anderen Themen nachgehen. Etwa, ob es ethisch vertretbar ist, in einem Land, in dem die Menschenrechte mit Füssen getreten werden, Fussballturniere abzuhalten. Es könnten dazu dann Empfehlungen zuhanden des Präsidenten abgegeben werden - als Vorschlag etwa die Einführung einer Schweigeminute für die Opfer ausserhalb der Stadien. Wo, wenn nicht in der Welt des Fussballs, können solche Fragen offen diskutiert werden? Die beiden nächsten Austragungsorte für die Fifa-Weltmeisterschaft sind keine echte Nagelprobe, die Frage der Menschenrechte stellt sich da offensichtlich nicht. Das Problem wird vielmehr sein, wie mit zu viel Alkoholkonsum (Russland 2018) oder schlimmer noch, ganz ohne Alkoholkonsum (Katar 2022) Public-Viewing-Stimmung aufkommen soll. Ohne dass die Rettungsfahrzeuge, die ab 3 Promille bzw. ab 50 Grad im Schatten im Einsatz stehen, behindert werden. Als ob Feiern nicht auch ein Menschenrecht wäre.
Andere Sportarten können sich da eine Scheibe abschneiden. Oder hat vielleicht jemand einen Ethiker gesehen, als die Formel 1 unter den Rauchschwaden geknüppelter Demonstranten durch Bahrain donnerte? Eben. Sepp Blatter macht es wieder allen vor. Er weiss, wann die rote Linie überschritten wird, dafür hat er jetzt die Torraumkamera und die Ethikkommission. Allein das prädestiniert den 76-jährigen, im Jahre 2015 nochmals als Fifa-Chef zu kandidieren. Fussball ist Gott und Blatter sein Prophet, dieses Team lässt sich nicht so einfach auswechseln. Keiner interveniert bekanntlich konsequenter als der Sepp, wenn auch nur der Hauch von Korruption vermutet wird. Dagegen muss Roger Federer bei jedem Turnier seine Position verteidigen.
Fakt aber bleibt: Wir sind stolz auf die Nummer 1 und haben erst noch die Wahl, wen wir meinen.
Stefan Bühler