Verpasste Gelegenheiten
Sollen zwei fixe Daten in unserem Kalender ausreichen, um Ereignisse der Geschichte politisch wahrzunehmen? Ja, sagen sich die Berufspolitiker, Nein sagen die andern, denen Politik Berufung ist. Damit haben wir schon den wichtigsten Unterschied zwischen amtierenden Bundesräten und Regierungsräten einerseits und Nationalrat Christoph Blocher andererseits herausgearbeitet. Doch dazu später.
Die beiden wahrnehmbaren Ereignisse mit Wiederholungscharakter sind der Nationalfeiertag und Weihnachten. Die Gemeinsamkeit beschränkt sich darauf, dass beides gesetzliche Feiertage sind. Daran gehalten hat sich leider nur Johann Schneider-Ammann, der am 1. August blau machte, ohne rot zu werden. Da mochten sich seine Kollegen lange grün ärgern, zumal ihre Ansprachen auch nicht gerade das Gelbe vom Ei waren. Aber Schwamm darüber, wir sollten die Festansprachen nicht so schlecht reden, wie sie wirklich waren. Jedenfalls wird ein historisch zumindest fragwürdiger Anlass wie die Gründung der Schweiz im Jahre 1291 gerne beigezogen, um aus heutiger Sicht unser Staatswesen zu erklären.
Nicht einfacher haben es die Geistlichen, die uns Weihnachten erklären möchten und dabei geflissentlich darüber hinwegsehen, dass wir die Geburt eines Juden feiern.
Dabei wäre es einfacher, sich an wahren historischen Ereignissen zu orientieren. Die Gelegenheiten werden leider sträflich verpasst, oder dann, wenn einer doch auf die Idee kommt, teuer und wirkungslos verkorkst. «200 Jahre Beitritt Graubündens zur Eidgenossenschaft » sollte so ein nachhaltiger Anlass werden. Die Nachhaltigkeit war etwa so gross wie bei Olympischen Spielen. Mit einem Budget von drei Millionen Franken - Cervelats hatten darin keinen Platz - wurden ein Staatsakt und ein Kongress der geistigen Köpfe organisiert. Ein Teil der Feier fand im Hauptbahnhof Zürich statt, der andere nannte sich «Magna Charta». Deren sechs Thesen zur Innen- und Aussenansicht des Kantons Graubünden bekamen es vor allem mit einer Ansicht zu tun. Der Innenansicht einer Schublade im Regierungsbüro, wo das Manifest jubiläumswürdig seit bald zehn Jahren schlummert. Wie es scheint, macht es der Kanton St.Gallen mit dem Gallusjubiläum 2012 etwas besser.
Andere Gelegenheiten werden verpasst. Immerhin sind es 500 Jahre her, dass die Bündner das Veltlin eroberten und beinahe 300 Jahre lang die Talschaften Veltlin, Chiavenna und Bormio beherrschten. Feierlichkeiten dazu gab es nur im privaten Rahmen, Schweigen dagegen von offizieller Seite. Dabei stellt sich durchaus die Frage, wann die norditalienischen Talschaften sich der Schweiz anschliessen. «Freies Veltlin! Wollt ihr zu einem Schweizer Kanton werden?» Massimo Sertori, Präsident der norditalienischen Provinz Sondrio, ergriff vor einem Jahr aus Zorn gegenüber Rom eine Initiative für den Anschluss an die Schweiz. Angesichts der wirtschaftlichen Krise in Italien liebäugeln nicht wenige mit dieser Idee.
Wenn kein Politiker in dieses Fettnäpfchen treten mag, hat das natürlich seine Gründe. Dem Bündner Bundesrat Felix Calonder wurde es nämlich auch verübelt, dass er sich für den Anschluss Vorarlbergs an die Schweiz stark machte, sein Rücktritt im Jahre 1920 war die Folge. Nur nebenbei: Nächstes Jahr sind es 100 Jahre her, seit Calonder im ersten Wahlgang in den Bundesrat gewählt wurde. Gelegenheit, um über Anschlussgelüste unserer Nachbarn zu meditieren.
Andere halten sich da eher an die Worte von Niklaus von Flüe: «Machet den Zun nit zu wit!» Die Gedenkstunde schlägt mit Sicherheit für Christoph Blocher im September 2015, wenn sich die Schlacht bei Marignano zum 500. Mal jährt. Blocher wird nicht die Niederlage der Eidgenossen, sondern den Beginn der Neutralität feiern. Gouverner, c'est prevoir, das weiss er, deshalb baut er sich schon heute als legitimen Nachfolger von Marignano auf. Und keiner muss sich wundern, wenn er das Thema allein besetzt.
Stefan Bühler