Versehen
Irrtum, sprach der Igel und stieg vom
Kaktus. Zugegeben, es gibt schlimmere
Versehen, trotzdem wissen die
meisten gar nicht, wie man sich dagegen
wappnen kann. Die Amerikaner
machen das vorbildlich, sie stehen
auch unter dem besonderen
Damoklesschwert der Produktehaftpflicht.
Sie warnen vor allem und jedem,
bis weder Versehen noch Verstehen
möglich sind. So wird etwa
beim Kauf eine Mikrowelle extra darauf
hingewiesen, dass man Kinder
und Haustiere in diesem Gerät nicht
wärmen sollte. Dabei wäre das so
nahe liegend, auch wenn man ein
Haustier danach kaum mehr von einer
normalen Minuten-Lasagne unterscheiden
kann.
Die Gebrauchsanweisungen im Nachgang
zur letzten Weihnachtsfeier
schaffen da bedeutend weniger Klarheit.
Etwa jene vom neuen PC:
«Nimmer diesen Monitor legen, wo der
Schnur von Personen darauf spazierengehen
grausam behandelt wird.» So
konnte man lesen im Lichte einer
japanischen
Weihnachtskerze, die mit
ihrer eigenen Gebrauchsanweisung
Interpretationsspielraum zulässt: «Mit
sensazionell Modell bekomen sie
nicht teutonische Gemutlichkeit fuer
trautes Heim nur, auch Erfolg als
moderner Mensch bei anderes Geschlecht
nach Weihnachtsgans aufgegessen
und länger, weil Batterie
viel Zeit gut lange erreischen Glückseligkeit
unter finstrem Tann.»
Die Weihnachtsgans längst weggeschleckt
und der finstre Tann entsorgt,
wenden wir uns dem alltäglichen
Wahnsinn zu, aus dem die
grössten Versehen hervorgehen. Nicht
von ungefähr heisst es in einem
deutschen Sprichwort: «Versehen ist
bald geschehen».
Eines der grössten Versehen der jüngeren
Geschichte war aber zweifellos
die innerdeutsche Mauer. Zwei Monate
vor Baubeginn hatte DDR-Staatsratsvorsitzender
Walter Ulbricht erklärt:
«Niemand hat die Absicht,
eine Mauer zu errichten.» Wenn es
also niemandes Absicht war, muss
es sich um ein 28 Jahre dauerndes
Versehen
gehandelt haben. Dessen
Ende durch die von Günter Schabowski
falsch interpretierte Spickzettelvorlage
dann grad noch versehentlich
am 9. November 1989 eingeläutet
wurde.
Längst nicht alle Versehen nehmen
historische Dimensionen an, die kleinen
Versehen zwischendurch bilden
die grosse Mehrheit. Eine zuverlässige
Quelle ist dabei das Navigationsgerät
im Auto, auf das man sich nur
beschränkt verlassen sollte. Nicht
wie jener 21-jährige Deutsche, der
blind seinem Gerät vertraute und
statt auf die Lenzerheide mit seinem
Audi 80 in einen tiefen abschüssigen
Wald bei Chur fuhr, wo ihn die Polizei
dann bergen musste. Während
ein deutscher Lieferwagenlenker auf
der Nordseite des Albulapasses in
der Schlittelpiste stecken blieb. Im
Vertrauen auf sein Navi war er trotz
Hinweis- und Verbotstafeln Richtung
gesperrten Pass gefahren, bis er nicht
mehr weiterkam.
Versehentlich verpasste ein Italiener
die Autobahnausfahrt, das Navi forderte
ihn auf: «Bitte wenden, bitte
wenden.» Bei Zizers gehorchte er
mitten auf der A13 und wendete sein
Auto umgehend. So schnell kann man
zum Geisterfahrer werden.
Teuer wurde es jeweils für jene Bündner
Jäger, die im Laufe der letzten
Jahre abwechselnd auf Touristen,
Traktore, Kinderwagen, Kollegen und
andere unerlaubte Objekte schossen.
Während der letzten Hochjagd wurden
sogar einige erlaubte Tiere erlegt.
Auch diese vermutlich versehentlich.
Hätten die Jäger nur gut hingehört,
als der Film «Vom Winde verweht»
lief: «Wenn jemand Hand an den Gaul
legt, schiess. Aber triff nicht aus
Versehen den Gaul.»
Wer blind Gebrauchanweisungen übernimmt
oder sich beim Autofahren gar
auf weibliche Stimmen verlässt, ist
und bleibt Durchschnitt. Davor hat
schon Albert Einstein gewarnt: «Wer
Freude daran empfindet, im Gleichschritt
zu marschieren, hat sein Gehirn
aus Versehen bekommen.»
Stefan Bühler